Nun also die Geschichte, bei der ich, wenn sie meine Tochter erleben würde, bestimmt ausraste:
Vor inzwischen über vier Jahren hab ich mir im Januar mein erstes Modem zugelegt. Da waren die einsamen Single-Abende nicht mehr so lang. Innerhalb einer Woche kannte ich einige Chat-Räume und habe dort so nach und nach Leute kennengelernt, auch einige Männer, mit denen ich dann auch mal telefoniert hatte. Der eine oder andere war davon ganz nett, da hätte ich mir vorstellen können, ihn zu treffen, bei einem hab ich das ganze dann mal probiert und es war der absolute Reinfall. Nun gut, irgendwann im März unterhielt ich mich im Chat wieder mit einem, den ich so ganz nett fand, der nicht wie die anderen blöd rumlaberte. Wir verabschiedeten uns aber so, daß ein weiteres Treffen dort Zufall sein sollte. Nach ein paar Tagen war er dann wieder da, aber diesmal mit einem Haufen blöder Sprüche, so daß ich dachte: "Also doch so wie die meisten anderen..." Er fragte dann, ob ich ihm nicht meine E-Mail-Adresse geben würde, aber weil ich das eigentlich nicht wollte, hab ich ihm geschrieben, er solle mir seine geben, ich würde ihm dann antworten, wenn es mir paßt. So war es dann auch, aber die Adresse lag irgendwo rum, eine Mail gab es darauf nicht, nicht von mir. Nach ein paar weiteren Tagen wieder ein Zufallstreffen im Chat, er fragte gleich in einem ziemlich beleidigten Ton, warum ich ihm nicht geschrieben hätte. Ich hab mir dann eine Ausrede einfallen lassen, dann haben wir uns wieder recht gut dort "unterhalten". Weil ich ihn diesmal doch wieder sympathisch fand, hab ich dann doch die erwartete Mail geschrieben, eigentlich belangloses Zeug, meinen Tagesablauf, was ich gegessen habe etc.
Am folgenden Tag (08.04.1999) hatte ich Nachtdienst in der Klinik, da es ein sehr ruhiger Tag war, hab ich mich an mein mitgebrachtes Laptop gesetzt und gechattet. Da war er wieder. Ein dreistündiger Schriftwechsel begann, bis er irgendwann fragte, ob wir nicht telefonieren wollen. Unter der Bedingung, daß er anruft und es akzeptiert, wenn ich raus muß, weil mein Piepser geht, hab ich dann zugestimmt. Es folgte das längste Telefonat meines Lebens. Er hatte eine sehr angenehme Stimme und wir plauderten, als würden wir uns schon Jahre kennen. Nach 6 1/2 Stunden war die Nacht vorbei, ich hatte keine Minute geschlafen, war aber total aufgedreht (damit Ihr Euch keine Sorgen macht: Meinen Patienten ging es gut, ich war jederzeit erreichbar und auch am nächsten (Arbeits-)Tag topfit). Zum Abschied versprach er mir, im Laufe des Tages eine E-Mail zu schicken mit einem Bild und seiner Tel.-Nr., wenn ich zu Hause wäre, sollte ich mir das Bild anschauen und wenn ich dann noch Kontakt zu ihm wollte, ihn dann anrufen.
Ich konnte den Feierabend kaum erwarten, war gegen 16.00 Uhr zu Hause, und kaum hatte ich die Wohnungstür aufgeschlossen, klingelte schon mein Telefon. Er fragte, ob ich das Bild schon gesehen hätte. Da ich dazu noch nicht gekommen war, legten wir wieder auf (mit Analoganschluß geht eben nur Telefon oder Modem). Nun gut, das Bild...hmmm ähhh, was sollte ich dazu sagen...nicht unbedingt mein Traumtyp, den hätte ich auf der Straße kaum bemerkt geschweige denn irgendwo angesprochen. Aber weil er sonst sympathisch wirkte, rief ich dann zurück. Während dieses Telefonats begann er auf einmal im Hintergrund zu kramen, erzählte mir, er würde gerade seinen Rucksack raussuchen, Socken, Unterhosen... Ich war zeimlich perplex, als ich mitbekam, der packt gerade seine Sachen, um mich besuchen zu kommen. Dabei wußte ich doch, daß er eine Freundin hatte, mit der er zusammen wohnte, sie war nur ein paar Tage bei ihren Eltern.
Von unterwegs kamen immer wieder Anrufe, er teilte mir mit, wo er war, und irgendwann kurz nach 1.30 Uhr in der Nacht war er dann in Halle (nach über 500 km Fahrt), hatte sich aber in der Stadt verfahren und ich lotste ihn dann telefonisch zu mir. Erst als es an der Tür klingelte, wurde mir bewußt, was ich da tat: Ein wildfremder Mann steht vor der Tür, ist hunderte Kilometer gefahren - auch wenn mein Sicherheitsbedürfnis eigentlich sagte, laß ihn draußen stehen, so brachte ich es nicht übers Herz. Ich öffnete ihm das Hoftor. Draußen stand ein großer Mann mit Brille, Bart und kleinem Bauch, hinter ihm ein Kombi (eine Familienkutsche in meinen Augen) und er war mindestens genauso verlegen wie ich selbst. Er kam dann mit hoch in die Wohnung, ich war hundemüde nach der letzten durchgemachten Nacht - nur, wo sollte er schlafen? Ich hatte eine Mini-Wohnung mit 39 qm, eine Doppelliege, nicht mal eine Isomatte da, geschweige denn etwas anderes, was tauglich gewesen wäre, einen Besucher drauf schlafen zu lassen. Nun gut, was sollte passieren...wir schliefen brav jeder auf seiner Seite auf der Doppelliege. Am nächsten Morgen mußte ich wieder zur Arbeit, er schlief noch. Das einzige, was ich wußte, war sein Name und das Kennzeichen seines Autos. Ihr könnt Euch vorstellen, wie hibbelig ich den ganzen Tag war: Würde ich meine Wohnung vielleicht ausgeräumt wiederfinden, von dem Kerl keine Spur? Aber nein, er wartete brav auf mich, hatte meinen Abwasch schon erledigt und die Betten gemacht. Wir verbrachten dann weitere nette 24 Stunden miteinander, der nächste Tag war ein Samstag und er mußte zurück, er hatte seiner Freundin versprochen, sie bei ihren Eltern wieder abzuholen - und sie wußte ja von seinem Ausflug nichts. Als er wieder fuhr, war ich traurig, weil ich mich tatsächlich verliebt hatte. Andererseits sagte ich mir, wie sinnlos diese Liebe wäre, ich sehe ihn ja sowieso nicht wieder... Zum Glück mußte ich am Sonntag wieder 24 Stunden arbeiten, kam erst am Montag nachmittag wieder nach Hause. Da wartete der schönste Liebesbrief, den jemals bekommen habe, in meiner Mailbox auf mich. Am Dienstag kam die Nachricht, daß er mit seiner Freundin Schluß gemacht hätte, die letzten Monate hätte es sowieso nicht mehr so funktioniert zwischen den beiden. Am MIttwoch wurde also seine dann bereits Ex von ihren Eltern abgeholt und genau vier Stunden danach stand er wieder vor meiner Tür. Seitdem verbrachte er die meiste Zeit bei mir (er war arbeitslos, stand kurz vor einer Weiterbildung), war nur ab und zu mal ein paar Tage zu Hause, um nach dem rechten zu sehen. Nach 14 Tagen kauften wir uns die ersten Ringe, als Freundschaftsringe gedacht, nach drei Wochen wurde er meinen Eltern vorgestellt (die leider ganz andere Vorstellungen von einem Schwiegersohn hatten und uns deshalb ein halbes Jahr lang das Leben schwer machten, bis sie begriffen, daß ich mich entschieden hatte). Im Juni zog er bei mir ein, begann im Juli seine Weiterbildung in Halle und wir leben seitdem zusammen. Er gab für mich das Rauchen auf (nachdem ich ihn vor die Wahl gestellt hatte: Ich oder die Zigaretten - immerhin rauchte er bis zu zwei Schachteln pro Tag) und wir mußten zwei Dickköpf unter einen Hut bringen. Doch es ging immer besser, obwohl wir weiterhin in der kleinen Wohnung lebten und uns kaum mal aus dem Weg gehen konnten.
Wir überstanden dann ein halbes Jahr Fernbeziehung, weil er nach seiner Weiterbildung einen Job in seiner Heimat bekam, ich aber meinen sowieso befristeten Arbeitsvertrag noch erfüllen wollte. Im August 2001 bin ich dann nachgezogen, habe hier auch Arbeit gefunden, im April 2002 kündigte sich dann unsere kleine Saskia an und seit Dezember sind wir glückliche Eltern.
Ich hoffe, ich hab Euch nicht zu sehr mit dieser langen Geschichte gelangweilt. Für mich ist es die Geschichte meines Lebensglücks. Aber meiner Tochter würde ich was erzählen, wenn sie ähnlich leichtsinnig handeln würde. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
In diesem Sinne, liebe Grüße, Anke