Sie werden den Kindern und Kindeskindern all derjenigen gerecht, die keine Wahl haben, ob Auschwitz und all die anderen Vernichtungsmaschinen in ihr Leben sollen oder nicht.
Ich finde, Auschwitz gehört in alle Leben, in jeden Kopf. Genauso wie Buchenwald, Bergen- Belsen, Dachau. Und jeder andere Ort, an dem Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer Sexualität oder ihrer Gene als unwürdiges Leben ausgelöscht wurden.
Niemals darf in Vergessenheit geraten, was geschehen ist, niemals darf es möglich sein, dass so etwas wieder möglich wird.
Und die Präsenz der noch vorhandenen Stätten zu nutzen, um damit auf allen Wahrnehmungsebenen zu verdeutlichen, was da wirklich passiert ist, wie unermesslich grausam und unfassbar die Geschehnisse waren, das ist gut und wichtig und richtig.
In meiner Familie war es Hadamar, ein Ort, der sich kaum oder nur sehr weit unten in der Liste der Vernichtungslager finden lässt, an dem aber ebenso so unermesslich schreckliche Sachen passiert sind wie an anderen Orten.
Mich hat das als Kind schon sehr bewegt, ich habe sehr früh angefangen, Informationen zu sammeln (erfahrungsgemäß wird vieles, was die eigene Familiengeschichte betrifft, ja auch totgeschwiegen oder verdrängt), um das unfassbare Grauen irgendwie eingrenzen zu können. Es ist mir nicht gelungen. Ich stehe bis heute fassungslos vor dem, was möglich war.
Hätte ich es als Jugendliche in Auschwitz sein müssen, zwangsweise verpflichtend von einer Schule, die all das nicht begleitet und aufarbeitet, ich wäre zerbrochen. Es wäre ein massiver seelischer Übergriff gewesen, weil ich es nicht verkraftet hätte. Und ich behaupte, dass ich das unfassbare Grauen ansonsten auf allen mir möglichen Arten versucht habe, zu verinnerlichen, ich schaue nicht weg, ich bagatellisiere nicht. Mich erschüttert jedes Schicksal, von dem ich höre oder lese. Wenn ich mir vorstelle, das hinter jeder Zahl dieser schrecklichen Summe an Toten, aber auch an Überlebenden und traumatisierten Menschen, ein einzelnes Schicksal steht, das einzige Leben, dass dieser Mensch hatte, dann will ich schreien und weglaufen und nicht mehr aufhören zu weinen.
Schule und Gesellschaft haben aber soviel mehr Verantwortung dafür, dass Ausgrenzung, Hass und Mord kein Boden mehr geboten wird. Mit einem Pflichtbesuch in Auschwitz kann sich niemand freikaufen von seiner sozialen Verantwortung. Und eine fehlende Aufbereitung des Aufenthalts an einem Ort, der durchaus traumatisieren kann, ist alles andere als seiner sozialen Verantwortung gerecht geworden zu sein.
Die Mobbingrate in Schulen ist extrem hoch, Ausgrenzung von anderen hat oft schon in Grundschulen Hochkonjunktur. Da agieren gerade die erwachsenen Täter von morgen. Die nächsten Machthaber.
Wir haben ein derart großes gesellschaftliches Problem, gerade was Ausgrenzung und Hass angeht, dass es bereits nicht mehr nur fünf vor 12, sondern noch später ist, dem Einhalt zu gebieten.
Das Schlimmste ist noch nicht mal, dass der Nationalsozialismus in seiner unfassbaren Unmenschlichkeit möglich war. Das Schlimmste ist, dass er wieder möglich wäre. Weil ihm wieder der Boden bereitet wird.
Deshalb bin ich ganz bei dir, dass der Nationalsozialismus mit all seinen Auswirkungen, mit all seiner Entsetzlichkeit, in alle Leben gehört. Jeder muss darüber Bescheid wissen, so gut wie möglich. Niemand darf davor weglaufen können.
Aber jeder muss auch die Möglichkeit, das Umfeld, die Bedingungen haben, selber respektvoll und achtsam wahrgenommen und behandelt zu werden. Dass das eine große Utopie ist, ist mir selber klar, wir sind so weit davon entfernt.
Aber den Anfängen zu wehren beginnt doch genau da. Im Kleinen, bei jedem.
Wenn wir aufrechte Kinder wollen, die zu aufrechten, empathischen Erwachsenen werden sollen, dann müssen wir sie sehen und ernstnehmen. Und begleiten. Ich weiß, dass Schule das nicht leisten kann. Aber dann kann Schule auch nicht bestimmen, dass für alle die gleichen emotionalen Schmerzgrenzen zu gelten haben.
ich frage mich, ob ein verpflichtender Tagesaufenthalt im ehemaligen Konzentrationslager im Nutzen höher stehen kann als die persönlichen Empfindungen der einzelnen Schüler. Und warum keine umfassende Aufarbeitung angeboten wird. Und wenn ich darüber nachdenke, dann reduziert sich der Aufenthalt dort für mich auf etwas, das aus Sicht der Schulen vielleicht lediglich als Pflicht angesehen wird, damit man seinen Teil getan hat. Etwas, das heute zum Lehrplan dazu gehört.
Aber eigentlich legitimiert man mit diesem Weg nur das Grauen und hilft nicht dabei, es unvergessen transparent zu machen. Es zukünftig zu verhindern. Weil auch hier wieder Zwang im Vordergrund steht und es nicht die Möglichkeit gibt, sich den Weg selber zu erarbeiten.
Wie soll man das Unfassbare begreifen, was dort geschehen ist? Ohne Aufarbeitungsmöglichkeit ist der Wunsch nach Verdrängung oft groß, ein wichtiger Überlebensmechanismus. All das führt aber nicht zu aufgeklärten, mündigen, empathischen Erwachsenen, es hängt soviel mehr daran. Viel mehr, als den meisten Verantwortlichen überhaupt klar ist.
Andrea, ich wünsche euch, dass ihr das Beste aus der Situation machen könnt. Alle Liebe!