Generation ICH

nalou81

Gehört zum Inventar
Ihr Lieben!
Mich bewegt schon länger was und ich habe lange überlegt ob und wie und wo ich mir mal Luft machen möchte.
Hab mich jetzt entschieden es nicht im verschlossenen Eckchen zu schreiben, weil es ja nix ist, was in irgendeiner Form so verfänglich ist, dass ich mich schützen müsste.

Ihr wisst ja, dass ich in der Kita arbeite, und (ich hoffe dass es so rüberkommt) ich liebe meinen Beruf, der Berufung ist und ich sehe jeden Tag engagierte Kollegen die "Blut, Schweiß und Tränen" in diese Arbeit investieren.

Ihr als Kitamütter und Väter kennt ja auch die Kitas von innen. Viele kleine Menschen, die alle etwas wollen, gerne gleichzeitig, der eine hat die Bux voll, der Nächste Hunger, die Andere Heimweh, Bauchweh, den Schalk im Nacken. Es ist meistens unfassbar laut. Es ist immer was zu tun, am Besten bis gestern.

Unser Aufgabenbereich hat sich in den lezten Jahren enorm erweitert: Es gibt zum Beispiel eine Kollegin, die einige Mütter regelmäßig zu diversen (Kinder)Ärzten begleitet. Weil die Mütter unsicher sind, sich nicht ausdrücken können, nicht lesen und schreiben können. Seit die Kitas "Familienzentren" sind ist dies möglich. Daneben gibt es die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, mit Frühförderstellen, mit Schulen. Wir bieten Verkehrserziehung, Brandschutzerziehung, Sprachkurse (im Rahmen von Eltern-Kind-Angeboten).

Die Kinder die zu uns kommen werden immer jünger (U2 war gestern, demnächst kommen die 6Monate alten Zwerge, juchu!)

Darüber hinaus wird inzwischen alles dokumentiert. Schriftlich und per Video.

Das Telefon klingelt im drei Minuten Takt. Feste werden vorbereitet.

Unser Job ist inzwischen ein erheblicher Teil der Vermittlung von Kernkompetenzen. Alltägliche, praktische wie schneiden, malen, kleben, hüpfen, balancieren, klettern, schaukeln, Schuhe binden, aus Bechern trinken, sauber und trocken werden, Hände waschen, mit Messer und Gabel essen, andere ausreden lassen, helfen, streiten und vertragen.............

Und jetzt komme ich zum Thema:
Mir fällt seit langer Zeit auf, dass vielen Eltern das Gefühl dafür verloren ging, was Kinder brauchen. (Regeln, Grenzen, Herausforderungen, Ruhe....) was Kinder können ("Wie, der bleibt bei euch am Tisch, wenn ihr eßt????????") und auch, dass das eigene, heißgeliebte, wunderbare Herzenskind in einer Gruppe von 75 Kindern einfach mal eins von 75 ist. Versteht mich richtig, ich bin die Letzte, die was gegen individuallität hat, aber wenn ich mit meiner Kollegin auf den Spielplatz will und 12 Kinder mitnehme, dann müssen alle
-laufen
-auf dem Gehweg bleiben
-hören
wenn ein zwei Jähriger auf dem Rückweg schlapp macht, so what? ich nehme ihn Huckepack. Wenn die Sechsjährige beim losgehen fragt, ob wir ihren (!) Buggy mitnehmen können, schwindet meine gute Laune.

Ich sitz am Tisch und bastel mit drei Kindern. Die anderen möchten auch, warten. Frau X kommt und bringt ihre Tochter, guckt sich um, schnappt ihr Kind, setzt es an den Tisch. "Bianca möchte auch malen!" Klar! Kann Bianca auch. Wenn sie dran ist. Weil die anderen schon gefragt haben, ob sie auch malen dürfen. Weil ich mir Zeit für jedes Kind nehmen möchte und deshalb BEWUSST nur drei Kinder gleichzeitig bespaße.....

Ich erstelle eine Geburtstagskrone mit Kind A. Weil es Geburtstag hat. Frau Y kommt und verlangt von mir, dass ich mich JETZT sofort ihrem 5jährigen Kind zuwende, dass heute keinen Bock auf Kita hat. Was sein Recht ist. Es darf jetzt sauer sein. Aber es muss jetzt nicht getröstet werden. Weil es in zwei Minuten, wenn wir ihm erzähle, dass wir gleich zum Wasserspielplatz gehen schlagartig doch Bock haben wird. Und weil es was mit ernst nehmen zu tun hat, auch mal Gefühle wie Wut, Trauer, Neid zuzulassen.

Ich erlebe Eltern, die ihrem Kind JEDEN Stein, jeden Kummer abnehmen. "Nein Schatz! Nicht weinen! Ich kauf dir Eis!"

Ich erlebe Eltern, die Ausflippen, wenn ihr kind eine Beule, Schramme, Kratzer hat. WIE KONNTE DAS PASSIEREN????? Mmmmm, es hat GESPIELT? Mit Kindern? Ist gefallen, hat sich gestossen, oder, ja, tatsächlich ist gebissen worden. Blöd, klar, sollte nicht vorkommen, Aber passiert! Weil kein Mensch überall sein kann. Und im Zweifel hat das Kind was gelernt. Was es beim "im-Buggy-hocken" nie würde.

Ich erlebe Eltern, die ausflippen weil ihr Kind SAND(!!!!) in den Socken, Haaren, im Bauchnabel hatte!!! Im BauchNABEL!!

Ich habe inzwischen den Ruf, eine der "strengeren" und "rabiateren" Mitaerbeiterinnen zu sein. Und ich könnte euch auf Anhieb zehn Mütter nennen, die mich so richtig blöd finden,
erstaunlich ist aber, das mich viele, eigendlich alle Kinder lieben. Weil sie wissen woran sie sind, weil ich als Fels im Alltagswahnsinn stehe und "Nein!" meine und "Nein!" sage und nicht "Schätzelein, ich würde mir sehr wünschen, wenn du dass jetzt nicht so gerne machen würdest, bitte, ja? Kriegst auch ein Bobon!"

Ich frage mich oft, ob ich "hart" bin, ob meine Kinder "leiden", weil ich streng bin und oft Dinge von ihnen erwarte und durchsetze. Aber ich glaube, dass sie langfristig davon profitieren.

Und ich hasse inzwischen dieses: "Ich hab ja nur das eine, deshalb verwöhne ich es!" Ähm??? Weil Du nur ein Kind hast, sind alle anderen Kinder weniger wert????? Muss sich dein Kind nicht an Regeln halten, darf nix selber schaffen, sich nie durchbeissen??????

So, ich habe fertig! Respekt, wers geschafft hat, es musste mal raus. Ich glaub auch nicht, dass jemand von euch so drauf ist. Aber: Wenn euch das nächste Mal der Kragen platzt, weil sich euer Kind in der Kita die Haare geschnitten hat, und ihr die Erzieherin lang machen wollt, atmet mal tief durch und erinnert euch, dass diese Frau eurem Kind beigebracht hat die Schere zu benutzen, dass sie es war, die ihm fünf Mal am Tag beim Umziehen geholfen hat, als es sauber wurde und die es auf ihrem Schoss hielt als es plötzlich krank wurde und Fieber bekam.

Danke! Jetzt geht es besser!
 
:bravo:Danke - genauso empfinde ich es auch :jaja:Und bin schon froh, dass ich es nur aus Elternsicht sehe....das schwächt es sicher noch ab ;-)
 
Und das setzt sich in der Schule fort...ich habe manchmal den Eindruck, dass wir in einem Land der Extreme Leben. Entweder kümmert sich keiner oder die Kinder werden erdrückt vor Fürsorge...
 
:bravo:Danke - genauso empfinde ich es auch :jaja:Und bin schon froh, dass ich es nur aus Elternsicht sehe....das schwächt es sicher noch ab ;-)

Bin da voll bei Micky und Monsy danke fuers Aufschreiben...ich hab ja nur mal 6 Monate Schwangerschaftsvertretung gemacht und bin auch echt keine Uebermutter....eine ganz schlimme Entwicklung ist das....
 
Danke das du so bist wie du bist ! Nee so schlimm ists hier noch lange nicht, zum Glück! Da kommt die skandinavische Sichtweise u. Verhalten dazu, das alle "gleich" sind u. Einzelkinder eher noch die Ausnahme sind. Also hier warten die Kinder bis sie beim Seilspringen, Malen, Basteln dran sind usw.. Dazu kommt auch immer noch eine viel bessere Personalsituation wie bei euch.
Würden hier 12 Kinder auf den Spielplatz gehen wären mindestens 3 Erwachsene dabei , wenn dann noch unter 3 jährige mit sind 4.
Hier wird auf Bäume geklettert ja sie nehmen auch schon mal das Schnitzmesser u. lernen ein Feuer an zu machen, da wird eher komisch geguckt wenns Kind keine Schrammen mit nach Hause bringt, hatten das gestern erst das Thema beim Abschluss für die Schulanfänger, das ein Vater erst letztens zur Kigaleitung sagte: "Wenn mein Sohn nicht mit richtig Schrammen u. Kratzer nach Hause kommt, verklag ich dich :)," war im Spass gemeint, zeigt aber die Einstellung die hier noch herrscht.
Da muss ich immer an einen Bericht aus den USA denken, wo bei einer Schramme im Kiga ein Bericht mit 3 Zeugenaussagen kommt, wo u. warum die Schramme entstand, oder auch da das Jugendamt vor der Tuer steht , weil die Kinder alleine draussen spielen. Schrecklich diese Entwicklung.

LG Ina
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Kindergarten ist bei uns schon länger her
Aber an das was du beschreibst kann ich mich als Mutter erinnern.

Ich war/bin immer der Meinung, dass die Mitarbeiter der Kita ihre Sachen gut machen und alle Kinder gleich behandeln sollen.

Habe bei Fragen oder Problemen die Mitarbeiter angesprochen und gut war's. Mir war auch immer wichtig, dass nicht vor den Kindern zu tun.
Die Mitarbeiter sind in der Kita Respecktspersonen und die Autorität sollte nicht untergraben werden

Habe da mal den Streit einer Mutter mit einer Mitarbeiterin erlebt, dass ich irgendwann gesagt habe, es reicht nicht vor den Kids. Die haben brüllend argumentiert.

Grenzen usw. Sind m. E. Wichtig. Die Kids müssen ihren Rahmen doch kennen. Ist zu hause doch auch so.

Mir gefällt deine Einstellung und ich denke Kinder fühlen sich da bei dir dich richtig wohl.
 
Nalou, ich bin in vielem bei dir.
Die Extreme werden gerade in unserem Job sehr deutlich, finde ich, vor allem die zwischen 'überbehütet/ überbesorgt' und 'vernachlässigt'. Es ist teilweise doch gar nicht möglich, diesen Spagat zwischen den unterschiedlichen Entwicklungsständen zu leisten.
Und das ist genau der Punkt, an dem ich immer gerne losmeckere. Und zwar über das ganze System.
Die wenigen wirklich guten Einrichtungen kenne, die reiben sich z.T. auf, um allen Bedürfnissen so gerecht wie eben möglich zu werden.
Personalmangel, veraltete Einrichtungen, überholte Konzepte... die Liste ist lang und die Realität oft bitter.

Ich bin mir sicher, wäre dieses Komplettkonzept 'Vorschulbetreuung' ein anderes, dann liefe vieles auch besser.
Stattdessen gibts in wievielen Einrichtungen noch 'Arbeitsblätter' nach Marianne Frostig, die Vorschulkinder anstandslos abarbeiten sollen, als gute Schulvorbereitung.
Geht man nicht raus mit den Kindern, weil es regnet. Dürfen sie sich nicht schmutzig machen, weil die Eltern sonst meckern und niemand sagt mal irgendwo deutlich, dass es ganz normal ist, wenn Kinder das tun.
Werden Kinder zum Mittagschlaf genötigt, weil die Erzieherinnen sonst selber keine Mittagspause haben oder weil 'das schon immer so war'.
Müssen Kinder Essen probieren, was sie eklig finden, weil es die Regel ist, das zu tun. Da grenzt Machtausübung teils schon an Gewalt.
Naja, du kennst das, die Liste ist problemlos zu erweitern.

Der Spielraum es anders zu machen, wie gering ist der oft!
Und wenn du dann als Erzieher deinen Ressourcen da rein verbrennst einen Top- Zeitungsartikel fürs Amtsblatt zu verfassen, PR ist ja so wichtig, mit den Eltern darüber zu diskutieren, ob der Caterer wirklich zweimal die Woche vegetarisch anbieten darf, während ein weiterer Vater darauf besteht, sein Kind mittags vegan ernähren zu lassen und eine andere Mutter dich zwischen Tür und Angel schnippisch darauf hinweist, dass ihr Kind gestern ein Loch in der guten Hose hatte und ob man da nicht besser aufpassen kann?!, während ein Kind gerade Hilfe auf der Toilette bräuchte, man diese Mutter aber auch nicht stehen lassen darf, weil ihr Mann doch jedes Jahr eine gute Spende gibt- dann bleibt eben nicht mehr viel übrig für die wirklich wichtigen Dinge. Zudem empfinde ich die Hilflosigkeit immer sehr belastend, wenn ich genau weiß, dass es einem Kind in seinen Lebensumständen nicht gut geht, ich daran aber quasi nichts ändern kann außer dem Versuch, ihm ein paar schöne Stunden am Morgen zu geben. Und da wir hier ja nicht von einem, sondern von ganz vielen Kindern mit diesen Bedürfnissen sprechen...

Und da müsste man ansetzen. Wäre die KiTa/ Krippe/ Schule ein Lebensraum für die Kinder und nicht nur eine Station, wo sie schon in die Spur gebracht werden sollen, was Leistung und spätere Anpassungsfähigkeit betrifft, dann wäre, da bin ich mir sicher, vieles anders. Für Erzieherinnen, Kinder und Eltern.
Ich habe die Freude an der Gruppenarbeit ganz verloren. Und das lag weder an den Kindern, noch an ihren Eltern (also meist *g*), die oft genug ja auch mit ihrer jeweiligen Lebenssituation überfordert sind. Das lag alleine daran, dass ich dieses System immer unerträglicher finde im Zusammenhang mit individueller kindlicher Entwicklung.
Und auch daran, dass es solche Kollegen:

Aber: Wenn euch das nächste Mal der Kragen platzt, weil sich euer Kind in der Kita die Haare geschnitten hat, und ihr die Erzieherin lang machen wollt, atmet mal tief durch und erinnert euch, dass diese Frau eurem Kind beigebracht hat die Schere zu benutzen, dass sie es war, die ihm fünf Mal am Tag beim Umziehen geholfen hat, als es sauber wurde und die es auf ihrem Schoss hielt als es plötzlich krank wurde und Fieber bekam.

immer seltener gibt.
Stattdessen viele, die ausgebrannt sind und als Opfer des Systems nicht mehr recht weiter wissen und leider auch viele, die sich den Kindern gegenüber absolut unmöglich benehmen, was Beziehung auf Augenhöhe betrifft, Macht ausspielen, demütigen.

Da es aber -viel- Geld kosten würde etwas zu ändern und die grundlegende Notwendigkeit dazu eh oft abgetan wird, wird es wohl so weiter laufen. Mit Opfern auf allen Seiten.
 
Der Kiga ist bei uns auch schon lange her (ehrlich gesagt: Gott-sei-Dank *G*), aber ich habe denselben Eindruck wie du, dass viele Kinder einfach keine Grenzen aufgezeigt bekommen. Und das ist ganz schlimm für die kindliche Entwicklung. Wenn du sagst du bist ne rabiate Erzieherin, war bzw. bin ich ne rabiate Mutter. Ich hab meine 3jährige im Supermarkt schreiend und kreischend auf dem Boden toben lassen weil sie was nicht bekommen hat und bin einfach weitergegangen. Trotz der saublöden Gesichter und dem Getuschel der andren Leute. Sie hat irgendwann aufgehört und ist mir nachgelaufen und war so geschockt das ich nicht drauf reagiert hab, dass sie dann auch nicht mehr weitergebockt hat. Wenn ich dann sehe, was heutzutage die Kids "dürfen", die Mama in der Öffentlichkeit hauen zb. und die Mutter lacht auch noch drüber (Hallo???), dann kann ich nur den Kopf schütteln. Das war jetzt nur ein Beispiel von vielen.

Du machst das schon richtig! Lass dich nicht beirren. Ich bewundere dich für das was du leistest, ich könnte es nicht.

LG Conny
 
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