AW: Das Kind bringt mich echt an meine Grenzen *grrr*
Unsere Tochter war so aehnlich. Dass wir schrecklich sind, dass alle anderen Eltern besser sind und nie vergessen, Salami zu kaufen, dass sie demnaechst auszieht, das alles hat sie uns auch staendig erzaehlt. Nein nicht erzaehlt. Ins Gesicht gebruellt, mit hochrotem Kopf und mit Gegenstaenden schmeissend.
Fuer mich war das schrecklich. Ich war kein bisschen darauf vorbereitet, weil mein Erstgeborener - ein Sohn - so sanft und zaertlich war (wie sein kleiner Bruder auch). Mir ist dieses ganze Glueckliche-Familie-Bild in meinem Kopf zerplatzt, ich habe staendig nach DEM Verhalten bei mir gesucht, das falsch sein musste, das all dies verursachte, und war in einer Dauer-Schuld-Schleife.
Einmal ist sie uns auf einem Volksfest verloren gegangen und wurde ausgerufen. Wir sind krank vor Sorge zur Kindersammelstelle gestuermt, um unser armes Kind abzuholen - Lynn aber spielte froehlich mit den Betreuern, becircte sie und behandelte uns, als waeren wir Luft.
Ich war so blind vor Traenen, ich bin kaum aus diesem Zelt gekommen.
Da sind staendig Welten zerbrochen.
Mein Mann, der Grundschullehrer ist und all das kannte, sah es wesentlich gelassener und mit viel Humor. Ich konnte das nicht. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin zur Erziehungsberatung gegangen. Ich habe da viel ueber Wut gelernt, ueber den Schmerz dahinter, das Gefuehl, klein und machtlos zu sein, das meine Tochter nicht gut aushielt (und das ich auch nicht gut aushalte, wie mir auffiel). Mir ist immer im Gedaechtnis geblieben, was die Frau mir damals geraten hat: "Wenn Sie es schwer finden, in solchen Augenblicken mit Ihrer Tochter zu leben - denken Sie kurz daran, wie schwer es sein muss, Ihre Tochter zu sein."
Ausserdem litt ich so darunter, dass Lynn in der Schule, im Orchester, in der Theatergruppe, beim Sport, ueberall das beliebteste, charmanteste Kind war - sie machte es nur bei uns zu Hause. Dazu sagte mir die Beraterin: "Seien Sie doch froh. Bei Ihnen weiss sie, dass sie weiter geliebt wird, auch wenn sie das Schlimmste aus sich rauslaesst."
Mir hat das geholfen. Ganz langsam. Ich habe gelernt, das Verhalten meiner Tochter mehr auf sie und weniger auf mich zu beziehen, sie besser zu beobachten, nach Gruenden in ihr zu suchen, nicht staendig in mir.
Beim Packen geholfen habe ich ihr nie, das haette ich nicht geschafft. Ich hab ihr immer gesagt, dass ich ihre Entscheidung hinnehmen muesste, es aber entsetzlich traurig faende, nicht mehr mit ihr zu leben.
Meine Tochter ist jetzt neunzehn. Sie hat sich ausschliesslich auf Universitaeten in und um London beworben, damit sie von zu Hause nicht ausziehen muss. Unser Leben mit ihr war nicht das Bilderbuchleben, das ich mir unter "Familienleben" ausgemalt hatte, aber es war UNSER Leben und es war und ist noch immer wundervoll.
Ich wuensche Dir, dass Du Dir nicht selbst Druck machen laesst, dass Du Dir keine Vorwuerfe machst, dass Du Dir und Deiner Tochter Zeit lassen kannst, in kleinen Schritten aufeinanderzuzuleben.
Herzlich,
Charlie