Das Maß der Welt.
Die Suche nach dem Urmeter
Thema der Woche: Sternstunden der Wissenschaft Im Juni 1792 - es waren die letzten Tage der französischen Monarchie, und der Lauf der Welt hatte sich bereits durch das revolutionäre Versprechen universeller Gleichheit verändert - machten sich die beiden Astronomen Jean-Baptiste-Joseph Delambre und Pierre-François-André Méchain von Paris in unterschiedliche Richtungen auf den Weg. Delambre nach Norden. Méchain nach Süden. Ihre Aufgabe war die Vermessung der Welt - oder zumindest stellvertretend dafür jenes Teils des Meridianbogens, der sich von Dünkirchen über Paris bis Barcelona zieht. Ihr Auftrag lautete, auf diesem Weg den zehnmillionstel Teil der Entfernung zwischen Nordpol und Äquator für ein neues, allgemein gültiges Maß zu bestimmen. Dieses "globalisierte" Maß, der Meter, sollte nicht mehr willkürlich bestimmt, sondern von der Erde abgeleitet werden und - ganz im Sinne der revolutionären Ideen jener Zeit - auch alle Erdenbürger in Gleichheit miteinander vereinen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden.
Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der Meter war kein Meter. Méchain hatte sich um 0,2 mm verrechnet. Von Gewissensbissen geplagt, versuchte er seinen Fehler zu vertuschen und verstrickte sich dabei immer tiefer in ein Netz aus Täuschung und Lüge. Letztlich zerbrach Méchain - einer der fähigsten Wissenschaftler seiner Zeit - an dem utopischen Bestreben nach wissenschaftlicher Perfektion und der unvermeidlichen Erkenntnis über die eigene Unzulänglichkeit. Erst nach seinem frühen Tod entdeckte Delambre anhand von Méchains Unterlagen den Berechnungsfehler - und schwieg viele Jahre lang aus Loyalität dem verstorbenen Kollegen gegenüber. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ.
Ken Alder hat den mehrere tausend Seiten umfassenden offiziellen Bericht Delambres genau studiert, hat sich durch unzählige Logbücher, Berechnungen der beiden Wissenschaftler sowie ihren umfangreichen Briefwechsel gearbeitet. Um sich der Geschichte von Delambre und dem unglücklichen Méchain anzunähern, ist der Autor zudem den Spuren ihrer Reisen gefolgt - wo die beiden einst mit Kutsche oder zu Fuß unterwegs waren, begab sich der Autor mit dem Fahrrad auf seine persönliche Tour de France.
Unsere Methoden, Maß zu nehmen, spiegeln zugleich wider, wer wir sind und auf welchen Grundüberzeugungen unsere Weltsicht basiert. Und sogar unsere modernen, unpersönlichen Maße sind Produkte menschlicher Erfindungsgabe, menschlicher Leidenschaften und von Entscheidungen, die bestimmte Personen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten trafen. Diesen Hintergrund reflektiert Ken Alder in seinem Buch. Er beschreibt wissenschaftliche Erkenntnisse, die bis heute unsere Sicht auf die Welt prägen, erörtert die Frage nach der perfekten Wissenschaft und erzählt zugleich voller Humor und Sympathie für seine Akteure eine höchst abenteuerliche Geschichte zur Zeit der Französischen Revolution. Ein wahrer Wissenschaftsthriller!
