Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Elke67

Familienmitglied
Hallo zusammn,
erst mal vorab, von Natur aus bin ich ein Ritalin Gegner. Vielleicht weil ich zuviel gegenteiliges darüber gehört habe, oder mich auch nur einseitig informiert habe.
Jetzt würde mich aber mal die praktische Seite interessieren.

Fakt ist Timo kann sich nicht konzentrieren. Er kann nicht bei der Sache bleiben. Am liebsten fängt er gar nicht erst an. In der Schule ist es jetzt endgültig aus. Das Arbeitsblatt in Mathe bekam er heute mal wieder nicht fertig und mußte es in der Freiarbeit zu ende bringen. In der Zwischenzeit hatten sich alle anderen schon zu Gruppen formiert und dann wollte keiner mit ihm arbeiten, einer fing an Looser zu rufen und der Rest rief mit. Die Lehrerin war grad was kopieren. Er war völlig fertig. Die Hausaufgaben dauern zu Hause auch zwischen 2 und 5 Stunden. Er träumt, hört woanders hin etc. Der Kinderpsychologe meinte, es kommt alles gleich wichtig in seinen Kopf : Vogel zwitschern, Kinder plaudern, Lehrer sprechen, Stühle knarren. Alles gleich wichtig. Er ist vom ganzen Geplauder der anderen genervt, mault diese an, sie sollen ruhig sein und ist damit selber der Störenfried. Zu Hause, auch wenn es mucksmäuschenleise ist, wird er an manchen Tagen auch nicht schneller fertig, weil die Sonne schein, die Luft wabert oder sonstwas. Er träumt. Er ist jetzt in der 2. Klasse und seit einem Jahr ist es ganz extrem.
Er ist zur Zeit in einer Psychomotorischen Therapie. Kann aber das Gelernte nicht in seinen Tagesablauf umsetzten. In der Therapie machen sie Sport und im Unterricht halt nicht.
Demnächst hat er einen Termin bei der schulpädagogischen Beratung. Dort bieten sie auch Therapien zur Konzentration an, die er wohl ganz bestimmt mitmachen wird.

Das in Kürze zu Timo. Nachdem mich seine Therapeutin auf Medikamente angesprochen hat, war ich erst mal strikt dagegen. Nach heute, stehe ich dem offener gegenüber. Er leidet.

Wer kann mir ein paar grundlegende Erfahrungen mitteilen?
Ist es wahr, das die Wirkung nur 4 Stunden anhält und dann langsam abgebaut wird?
Muß die Tablette auch am Wochenende eingenommen werden, oder nur bei Bedarf für die Schule?
Benehmen sich die Kinder tatsächlich so extrem anders?

Falls ich was vergessen habe, bitte anmerken. Ich möchte nicht so ganz nur theoretisch ins Gespräch mit dem Psychologen gehen.

Gruß
Elke
 
AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Hallo Elke,


ich melde mich morgen ausführlich zum Thema, ich kenne mich damit ein bisschen aus, aber jetzt bin ich zu müde.

Liebe Grüsse, Jacqueline
 
AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Huhu,
das was du schreibst erinnert mich an meine Tochter Ramona ( 8 Jahre ). Genauso ging es ihr in der 2. Klasse. Dann haben wir es versucht mit Medikenet Retard. Und siehe das es wurde viel besser, aber dadurch, das sie in der Klasse zurück gehnagen hat, schaffte sie es nicht den Stoff nach zuholen. Wir haben sie dann in eine andere Schule in die 1. Klasse zurück versetzen lassen. Nun fing an alles positiv zu werden. Heute isat sie in der 2. Klasse am selben Stoff und es klappt hervorragend. Sie schafft ihre Arbeitsblätter und die Hausaufgaben sind auch in max . einer halben Stunde geschafft.

Die Tabletten wirken wirklich diese 4 Stunden, manchmal bekommt sie für die Hausaufgaben nochmal 10 mg nach, aber sobald die Wirkung vorbei ist, merkt man es wieder. Am We und in den Ferien gebe ich sie einfach nach bedarf, wenn sie wie jetzt bei dem schönen Wetter Rad fahren möchte, damit sie sich darauf Konentrieren kann. Ich war auch anfangs genen die Medis, aber meiner Tochter haben sie geholfen, ihr macht die Schule einfach wieder Spass und das merkt man am ganzen Verhalten.
 
AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Liebe Elke,

so, nun aber.

Grundsätzlich:
Ritalin, Medikinet, Concerta sind Handelsnamen für die Präparate, die Methylphenidat (MPH) enthalten, in unterschiedlichen Wirkformen und Konzentrationen.
Das "normale" Ritalin wirkt wirklich nur 3-4 Stunden. Bei uns hat das bedeutet, dass wir drei mal täglich geben mussten, weil Oliver abends einen extremen Rebound hatte. Da aber die Schulzeiten und die Medikamentenzeiten nicht zusammenpassten und das Absinken des Wirkstoffspiegels abrupt passierte, war das nicht wirklich optimal.
Da haben wir umgestellt auf Ritalin SR, das 6-8 Stunden wirkt.
Unterdessen sind wir bei Concerta angelangt, das 10 - 12 Stunden wirkt und einen sehr regelmässigen, stabilen Spiegel macht, denn die grossen Schwankungen waren oft eher kontraproduktiv.


Ob MPH nur während der Schulzeiten oder konstant genommen wird, dafür gibt es kein Patentrezept, ebensowenig bei der Dosierung. Was bei einem Kind mit Gewicht XY und Alter Z genau richtig ist, kann beim anderen Kind mit gleichem Gewicht und Alter total über- oder unterdosiert sein.
Wenn man damit anfängt, wird das deshalb auch über längere Zeit eingeschlichen, bis man die richtige Dosis gefunden hat. Und auch die ist nicht für alle Zeiten gleich, denn der menschliche Körper hält sich nicht an Dosierungsvorschriften *gg*


Benehmen sich die Kinder tatsächlich so extrem anders?

Ja und nein.
Wenn wir Olivers Tablette vergessen oder bewusst weglassen, dann steht er neben sich. Er kann sich auf nichts konzentrieren, hat an nichts Spass, ist aggressiv ohne Ende, weil in seinem Kopf ein Gedankenchaos allererster Güte herrscht, das ihn komplett für alles andere blockiert. Hilft ihm jedoch das MPH, die Reize zu filtern, dann kann er sich konzentrieren, liest, spielt Klavier, ist in der Lage, Frustrationen auszuhalten (zumindest bis zu einem gewissen Punkt :hahaha: ) und ist lernfähig - und das ist in meinen Augen nicht zu unterschätzen.
Das Medikament ermöglicht es ihm, sich Strategien anzueignen, um mit seinem Gedankenchaos umzugehen, damit, dass ihn seine Aussenwelt oft überfordert. Es ermöglicht ihm (und uns), sich Verhaltensweisen anzueignen, die seinem Alter entsprechen, um nicht sozial unreif zu bleiben.
Das Medikament heilt nicht - aber es legt eine Basis, um dem Kind zu ermöglichen, damit zu leben. Das Medikament ist auch kein Wundermittel, das alles wegzaubert. .
Denn ADS vergeht nicht, das ist immer da, aber mit den richtigen Therapiemöglichkeiten kann man diesen Kindern durchaus das Rüstzeug für ein glückliches, erfülltes und erfolgreiches Leben in die Hand geben.


MPH ist aber auch kein Mittel, das aus den Kindern apathische Zombies macht, die ruhiggestellt werden mit Drogen, wie das von den Gegnern gern dargestellt wird. Und es ist auch keineswegs so, dass Ritalin einfach mal ebenso von einem Arzt verschrieben wird, nur weil irgend ein Aussenstehender das sinnvoll findet. Die Entscheidung liegt immer noch bei den Eltern. Die Nebenwirkungen sind vergleichbar mit anderen Medikamenten und wie bei allen Medikamenten muss zuerst eine sorgfältige Diagnosestellung erfolgen.

Uns ist die Entscheidung fürs Medikament damals leicht gefallen. Nicht etwa, weil wir so gar keinen Respekt davor haben, ein Kind medikamentös zu therapieren. Sondern weil alle anderen Wege versagt haben und wir ein depressives Menschenkind hier hatten, dessen Leben aus Ablehnung, Versagen und Frust bestand, einer Abwärtsspirale, die sich immer schneller drehte, und die Medis waren eine Möglichkeit, sie zu stoppen.
Und wie auch hier zu lesen ist, hat es funktioniert.


Macht Euch die Entscheidung nicht leicht, doch wenn Ihr schaut, was für Euer Kind das Richtige ist, was IHM helfen würde, dann wird es die richtige sein. Denn darum geht es: dass das Kind glücklich ist.



Liebe Grüsse, Jacqueline
(Labertasche bei dem Thema *g*)
 
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AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Danke für eure Antworten. Das beruhigt mich irgendwie. Ich fühl mich in letzter Zeit wie so ein Amboss auf dem alle Welt rumhämmern darf. Die Lehrerin, die sofort krähte : "Da kriegt er sowieso Medikamente, das tut dem mal ganz gut." Und der Rest der Welt, der mich für völlig unfähig darstellt, wenn ich auch nur einen Gedanken dran verschwende, Timo "ruhig stellen zu wollen, nur weil ich nicht mit ihm klar komme". Allen voran meine Mutter mit dem Standardsatz : "Bei UUUUNS macht er das nicht."
Wobei ich ihn ja gar nicht ruhig stellen will. Ich will ihm einfach nur die Möglichkeit geben, sich besser konzentrieren zu können. Und hoffe, daß er das mit dem Konzentrieren irgendwann auch mal alleine hinbekommt. Mir ist das Herz gebrochen, als er gestern nach Hause kam und sagte, daß ich alle Looser genannt haben. Bis jetzt hat er sämtliche Negativgefühle so weggesteckt. Nie was in der Richtung erwähnt, egal wie ich gefragt habe.

Irgendwie hört sich das ja paradox an. Einige bekommen es um ruhiger zu werden, andere um aus der verträumten Ruhe herauszukommen.

In der Serie Desperate Houswifes gab es eine Folge, die Ritalin als Thema hatte. Dort hatten es die Mütter geschluckt um das tägliche Pensum zu schaffen, noch einiges mehr zu leisten und immer noch froh, glücklich und fit zu sein. Kann ich bitte gleich die Großpackung haben.

Ich weiß ja nicht ob das stimmt, aber dann sind das schon 3, auf jedenfall 2 Wirkungen. Das irritiert mich schon irgendwie. Woher weiß der Wirkstoff bei wem er was tun soll?

Das man das Präparat bei Bedarf geben kann, ist für mich schon mal ein großer Vorteil.

Weiß jemand wie das mit der Suchtgefahr ist? Mir wurde zwischenzeitlich auch mal gesagt, daß es ja logisch ist, wenn die Kinder bis zur Pubertät Ritalin bekommen und es dann abgesetzt wird, das sie sich dann einen Ersatz holen müssen.

Ich hab mir meinen Text gerade mal durchgelesen und stelle fest meine Gedanken sind genauso konfus wie seine wohl. Hoffentlich versteht ihr mich.

Gruß
Elke
 
AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Weiter im Text :wink:


Warum das gleiche Mittel verschieden wirkt:

In unserem Gehirn werden verschiedene Botenstoffe freigesetzt, um die Nervenzellen zur Zusammenarbeit zu bringen.
Bei ADS funktioniert das nicht so richtig, vor allem Dopamin und Noradrenalin werden unzuverlässig ausgeschüttet. Diese Stoffe sind für die Informationsverarbeitung und Erregung zuständig.
Bei einem ADSler greift nun MPH da ein und regelt diese Ausschüttung und Wiederaufnahme besser. Das Ergebnis ist scheinbar das Kind wird ruhiger bzw. weniger verträumt, sich also widersprechend. Der Vorgang ist aber derjenige, dass das Kind die Reize besser filtern kann, weniger "hirnüberlastet" ist und dementsprechend weder durch motorische Unruhe, schwache Konzentration oder abdriften reagiert.
Denn auch wenn sie "ruhiger" werden - eigentlich ist MPH ein Aufputschmittel und bewirkt genau das.

Beim gesunden Menschen greift dieses Mittel am gleichen Ort ein - in einen normalen Hirnstoffwechsel und "überreizt" diesen, sodass man aufgedreht wird. So einfach wie anscheinend in dieser Serie gezeigt, funktioniert es aber nicht. Die für ADSler richtige Dosierung ist möglichst tief und konstant und ohne hohen Anflutungswert - um sich aufzuputschen, als Droge braucht es genau das andere - möglichst schnelle, hohe Anflutung.


MPH als ADS-Therapeutikum macht nicht süchtig, nicht abhängig und vermindert sogar das Risiko, an einer Sucht zu erkranken. Es gibt da auch eine Studie zur Suchtgefahr von medikamentös therapierten ADSler, ich habe sie aber nicht grad zur Hand.
Nicht wenige unerkannte ADSler versuchen sich mittels Koffein, Nikotin, Alkohol und noch stärkeren Drogen selber zu therapieren, weil auch diese Genussgifte eine stimulierende Wirkung auf den Hirnstoffwechsel haben. Diese Gifte haben jedoch deutlich stärkere Nebenwirkungen als MPH mit einem viel schlechteren Wirkungsgrad.

Liebe Grüsse, Jacqueline
 
AW: Ritalin bei Konzentrationsschwäche - wer hat Erfahrung ?

Darf ich mal ganz kurz dazwischensenfen?

Liebe Elke

Was wirklich sehr, sehr wichtig ist bevor überhaupt die Entscheidung kommt, ob Ritalin und Co zum Einsatz kommen sollen oder nicht, ist eine ausführliche und seriöse ADS-Abklärung.

Nur einfach so mal ausprobieren, ob das Medikament überhaupt wirkt, ist fahrlässig (und wird leider durchaus nicht so ganz selten gemacht).

Bitte nicht falsch verstehen, ich will dir damit nichts unterstellen, sondern einfach noch einmal darauf hinweisen.

Lieben Gruss
L.
 
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