Meine Stillbeziehung mit Manuel (lang!)

G

Grisu

Ich habe einfach das Bedürfnis, hier die letzten zwei Jahre des Stillens niederzuschreiben.

Als ich noch schwanger war, besuchte ich eine Stillgruppe - weil ich fest vorhatte, unser Kind mindestens ein halbes Jahr zu stillen. Und da ich nicht ganz "blank" dastehen wollte, wenn es soweit war, holte ich mir schon mal ein paar theoretische Tips (und gleichzeitig sah ich so richtig hautnah ganz kleine Babys).

Als Manuel geboren wurde und er auf meinem Bauch lag, da erhoffte ich mir natürlich, dass er jetzt meine Brust suchen würde und trinken will (so wie es in den Büchern steht). Aber er weinte nur und ich streichelte ihn.
Als er nach dem Waschen und Untersuchen in den Armen meines Mannes zurückkam, schlief er. Also war das erste Anlegen verschoben - und das dann auf ein paar Stunden später (Manuel schlief nach der Geburt sehr lange - ca.8Stunden durchgehend).
Beim ersten Mal Anlegen fragte ich die diensthabende Schwester, ob sie mich unterstützen möchte. Ich fühlte mich so richtig unbeholfen an - ihn richtig hinlegen und dann auch noch es schaffen, dass er die Brustwarze zu fassen bekommt. Ich wartete dann auf ein bestimmtes Gefühl - dass ich jetzt so total zerfließe in dieser Zweisamkeit. Aber ich war viel zuviel mit dem wie und ob es funktioniert beschäftigt.
Am nächsten Tag probierte ich es wieder - aber Manuel war sehr müde und trank nur wenig.
Nun wartete ich auf das nächste - nämlich den Milcheinschuß. Eine Freundin hatte mir nämlich erzählt, wie da die Brust um so viel größer wird und irrsinnig spannt. Bei mir: Nichts. Der kam erst, als ich ein paar Tage zu Hause war - und auch nicht so immens, wie es meine Freundin geschildert hat.

Mit der Zeit fühlte ich mich aber schon etwas sicherer beim Anlegen - es war auch immer eine Hebamme oder eine Kinderschwester da, wenn man Hilfe brauchte.
Und dann kam der dritte Tag. Wir hatten alle Besuche bis auf weiteres verschoben (bis ich das Gefühl hatte, dass es paßt) - nur meine Mutter und meine Schwiegermama, deren Besuch war für mich o.k.
An diesem Tag waren sie da und Manuel meldete Hunger an. Ich dachte mir, dass es eh nichts ausmacht, wenn sie mir zuschauen beim Stillen - immerhin konnte ich es ja schon.
Aber das war ein innerlicher Spießrutenlauf. Ich schaffte es nicht, Manuel in die optimale Position zu bringen und seine Hände waren immer im Weg. Ich bemühte mich, ihn zu meiner Brustwarze zu führen, aber er weinte. Und dann war da plötzlich die Hand von meiner Mutter, die mir zeigen wollte, was ich mit der Brustwarze machen solle. Innerlich hatte ich so eine Wut - und meine Mutter merkte auch, dass ich das nicht wollte und ging raus.
Meine Schwiegermama (eine wirklich liebe 80jährige Frau) saß genau vor mir und guckte mir auch zu. Ich fühlte mich so gefangen in meinem Stillsessel und hätte am liebsten los geschrien, dass alle rausgehen sollten. Jedenfalls machte Manuel dann ein paar Schlucke und schlief wieder ein.
Als der Besuch weg war, bekam Manuel wieder Hunger und ich wollte ihn anlegen. Aber es klappte nicht. Ich war aufgelöst und weinte. Plötzlich soll ich es nicht mehr können? In meiner Verzweiflung ging ich mit Manuel weinend ins Schwesternzimmer und die Schwestern hörten mir zu, warum es mir nicht gut ging. Dann kam eine Hebamme zu mir ins Zimmer, um beim Anlegen behilflich zu sein und die Atmosphäre war dann auch entspannter und Manuel trank und ich hatte mich auch wieder gefangen.

Als wir dann Zuhause waren, kamen bei mir die wunden Brustwarzen dazu. Manuel trank jede Stunde und wenn er trank, dann dauerte es ca. eine Stunde, bis er satt war, weil er dazwischen immer wieder einschlief. Ich streichelte ihm über die Wange oder ich fuhr mit der Brustwarze in seinem offenen Mund hin und her, damit er wieder munter wurde und weiter trank. Ich war immer froh, wenn er eine Trinkpause hatte - denn die Brustwarzen brannten bei jedem Anlegen wie Feuer. Ich stillte und weinte dabei, weil es so weh tat. Aber ich wollte da durch - denn ich wollte stillen. Wenn er getrunken hatte, dann kam die Erleichterung - die Brustwarzen können sich erholen. Doch wenn er nach einer Stunde wieder trinken wollte, dann dachte ich: "Nicht schon wieder! Ich halte das nicht aus!"
Ich besorgte mir dann eine Salbe aus der Apotheke und nach drei Wochen wurde alles besser.

In mir war so viel Unsicherheit. Ob es normal ist, dass er sooft trinken will und zwischendurch immer einschläft. Eine Stillung dauerte also sehr lange und ich hatte das Gefühl, den ganzen Tag nichts anderes zu tun als zu stillen. Nicht einmal auf die Toilette gehen oder mich waschen - denn wenn er schlief, konnte ich ihn nicht einfach aus den Händen legen - da war er sofort wach und weinte. Ich fühlte mich wirklich irgendwie meiner Freiheit beraubt.
Es dauerte ca. 8 Wochen, bis ich sagen konnte, dass ich mich selbst wieder ein bißchen gefunden hatte und erst nach 2 Monaten fühlte ich mich etwas sicherer im Umgang mit Manuel.

Zwischendurch bekam ich dann immer wieder so Brustverhärtungen, die ich mit Topfenwickel behandelte.
Ich war noch immer nach diesem Glücksgefühl beim Stillen, das mir meine Mutter von ihr erzählte.

In der Nacht schlief Manuel bei uns im Bett und ich stillte ihn im Liegen. Das war wirklich sehr praktisch und meist schlief ich während des Trinkens wieder ein und Manuel auch wenn er satt war.
Ohne den Besuch der Stillgruppe hätte ich diese Möglichkeit glaube ich nicht gefunden.
In der Nacht trank Manuel auch so alle ein bis zwei Stunden.
Es gab zwar untertags schon auch Phasen, wo er drei Stunden schlief - aber das ging irgendwie unter in all der Unsicherheit und den Problemen mit den wunden Brustwarzen.
Als Manuel 9 Monate alt war bekam er schon in der Früh und am Abend selbstgemachten Brei mit geriebenem Obst oder püriertem Gemüse - aber das eigentlich nur so nebenbei. Das Stillen war die Hauptnahrungsquelle - und das so alle zwei bis zweieinhalb Stunden.
Das Stillen am Abend vor dem Zubettgehen war immer das "Sandmännchen" - er schlief dabei ein und ich konnte ihn dann niederlegen.

Knapp vorm Urlaub - also so mit 8,5 Monaten fing er plötzlich an, in die Brustwarze zu beißen. Ich wußte eigentlich nicht, was ich machen solle. Eine Stillberaterin gab mir Tips und so hatte sich das Problem dann innerhalb von einem Tag erledigt.

Im Sommerurlaub2002 war das Stillen natürlich sehr praktisch und es ist ein eigenes Erleben, so im Gebirge - auf einer Almwiese zu sitzen und zu stillen - so richtig in der freien Natur.

Wenn mich jemand fragte, wie lange ich noch stillen will, dann sagte ich immer: Das bestimme nicht ich, sondern Manuel.

Ja - und so sind es nun 23 Monate (das zweite Jahr war für mich eine sehr innige Stillbeziehung) geworden und ICH habe bestimmt, dass das Stillen nun zu Ende ist.
Gefühlsmäßig ging es mir trotz der sicheren Entscheidung nicht gut - es war ein Abschied (in einem anderen Posting habe ich darüber geschrieben).

Aber jetzt - nach fast zwei Wochen ohne Stillen - kann ich nur sagen, dass ich die richtige Entscheidung aus meinem Bauch heraus getroffen habe.
Meine Brust hat die erste Zeit noch nicht so ganz kapiert, dass es aus ist - aber jetzt hat sich alles gebessert.

Dass das Stillen so funktioniert, habe ich auch meinem lieben Mann zu verdanken. Denn er gab mir nie zu verstehen, dass ich endlich Schluss machen solle mit dem Stillen. Im Gegenteil: Er saß oft da und freute sich über den Anblick, wenn ich stillte. Er fand es einfach schön. Und dafür bin ich meinem Mann wirklich sehr dankbar - er meckerte nie, wenn ich solange beim Stillen saß - er hatte einfach Verständnis für so manche anstrengende Situation. Er baute mich auf, wenn ich glaubte, es nicht zu schaffen. Ich war mit einem "stillfreundlichen Mann" gesegnet. Da kann ich mich Schluß endlich über nichts beklagen - sondern nur zurückblicken und stolz darauf sein, dass alles so geklappt hat.

Und ich danke Manuel für diese einmalige Beziehung zwischen ihm und mir und dass er diesen Schritt des Abstillens so bravorös geschafft hat.

Liebe Grüße
Christine (die jetzt noch mals so die letzten zwei Jahre vor Augen hat)
 
liebe christine

das war ein sehr schöner berührender bericht. danke!

hab nur zwei fragen

was meintest du hier:
grisu hat gesagt.:
Ich war noch immer nach diesem Glücksgefühl beim Stillen, das mir meine Mutter von ihr erzählte.

und - ganz neugierig ich bin - was hast du gegen das beissen unternommen? ich hab damals bei jan spontan erschrocken geschrieen, dann haben wir beide geweint, es war schrecklich :(

umarm dich und schick ganz liebe bussi :bussi:
jackie :winke:
 
@ jackie

da habe ich das Wort nicht fetiggeschrieben - sollte heißen:

Ich wartete noch immer auf das Glücksgefühl.....

Was ich beim Beißen tat?
Ich hatte mehrere Dinge zur Auswahl.
Und eine war, wenn er beißt, ihn ganz spontan an die Brust drücken. Die STillberaterin damals meinte, dass das etwas ganz Unerwartetes ist und es wirkte echt.

Dickes Bussi
Christine
 
danke :-)

und deine mutter berichtete von diesem glücksgefühl? *staun*

ich muss sagen, dass mir das stillen währenddessen immer so natürlich und pragmatisch vorkam (nachdem es endlich funktionierte :-D) dass ich mich an glücksgefühle nicht mehr erinnern kann :-)

erst JETZT, wenn ich dran zurückdenke oder fotos sehe, dann bin ich ganz gerührt

:bussi:
jackie
 
Liebe Christine,

schön und auch ein bißchen traurig - ich musste direkt eine Träne zerdrücken.

Liebe Grüße
 
Hallo Christine,

ein wirklich schöner und ehrlicher Bericht, danke.
Ich gratuliere Dir aus tiefstem Herzen, dass Du all die Schwierigkeiten gemeistert hast und nicht aufgegeben hast - es wäre so leicht gewesen ... (Ich weiß, wovon ich schreibe).

Die Zeit muss megaanstregend für Dich gewesen sein, aber ich habe auch das Gefühl, dass Du soviel an Freude und Innigkeit bekommen hast, dass es Dir all die Anstrengung wert war. Die Erinnerung an diese Zeit wirst Du immer bei Dir tragen und emotional davon profitieren.

Liebe Gruesse
Riccarda
 
Hallo Grisu,

ein wunderschöner und rührender Bericht. Ich musste auch fast weinen. Schön, dass du das so für dich aufgeschrieben hast und dass du uns auch an deinen Erinnerungen teilhaben lässt. Ich wüsste gar nicht mehr alles so genau. Hast du es jetzt erst im Nachhinein aufgeschrieben?

Jackie schrieb:
ich muss sagen, dass mir das stillen währenddessen immer so natürlich und pragmatisch vorkam (nachdem es endlich funktionierte ) dass ich mich an glücksgefühle nicht mehr erinnern kann

Ich muss sagen, dass es mir ähnlich ging. Erst als ich abgestillt hatte, wurde mir bewusst, wie schön das Stillen war und ein paar Tage lang war ich ganz schön traurig, dass es vorbei war.
 
@ sally

ich führe seit der Zeit vor Manuels Schwangerschaft (ab da, wo ich so richtig spürte, dass "Manuel in der Luft liegt") ein "Erinnerungsbuch".
Und so habe ich diese Sachen (wie auch GEburt) kurz darauf niedergeschrieben. Die Stillbeziehung ist halt ergänzt.
Ansonsten könnte ich mich nicht mehr so genau daran erinnern. Und immer wenn ich es lese, dann spüre ich die Gefühle wieder.
Bin gespannt, ob das mal in 20 oder 30 Jahren auch so ist.

Liebe Grüße
Christine
 
Zurück
Oben