Buchstabensalat
Lebenskünstlerin
Vor so ungefähr drei Wochen stürzt meine Jüngste nachmittags auf mich zu, in der Hand etwas undefinierbares Gelbglitzerndes und den Mund auf mindestens 100 Worte die Sekunde eingestellt.
"Mamakannstdumirdasbittenähenundichbraucheunbedingtgleichundgestern..."
Mohoment mal! Darf ich vielleicht gerade erst mal diesen Zombie umhauen und mich dann vor Spinnen und Skeletten in Sicherheit bringen, sprich, Minecraft ausschalten und mich dann dir widmen - und geht das alles in einer Geschwindigkeit, bei der auch ich noch mithalten kann? Ich bin immerhin schon über vierzig!
Die Kleine hüpft und bibbert und zittert und versucht, mich ins Bild zu setzen. Für euch fass ich's mal kurz zusammen: irgendjemand ist bei ihnen in der Schule und bringt ihnen Renaissance-Tänze bei, die sie so in mindestens zwei Wochen öffentlich aufführen sollen, und das gelbe Glitzerfitzel soll zu einem hübschen Tellerbarett werden (was ICH zu nähen habe), und sie möchte bitte und überhaupt zu diesem in zwei Wochen stattfindenden Tanze ein ganz persönliches und hübsches Renaissance-Kleidchen haben. Knicks und Danke fein.
Jetzt bin ich ja historischem Nähen so überhaupt und gar nicht abgeneigt. Und schon gar nicht abgeneigt, wenn meine Machwerke dann so einen hübschen Rahmen haben, in dem sie gezeigt werden. Einziges Problem: ich mag momentan keinen Stoff kaufen. Erstens hab ich noch genug, der aufgebraucht werden muss, zum zweiten kostet es ja auch ne Menge Geld.
Was ich aber habe: in meiner Kruscht-Kiste liegt noch ein, hmja, sagen wir, Erstprojekt von mir damals. Mit den üblichen Jugendsünden: glänzender Satin und, schauder, Pannesamt. Paßt damit aber zumindest von der Herkunft zu ihrem gelben Glitzergedöns aus der Schule, das ist nämlich auch Pannesamt.
Ich meine, ich hab wirklich Verständnis dafür, dass die Frau in der Schule, die den Kindern die Renaissance nahebringt, nicht Hunderte von Euro in historisch korrekten Samt investiert, nur damit jedes Kind ein historisch korrektes Barett trägt - und wahrscheinlich kurz danach in die Ecke kloppt.
Aber Pannesamt! Dünn, labberig, fusselt beim Nähen wie die Hölle, flutscht weg wie die Seuche - mit kurzen Worten, ein Fehler, den man möglichst nur einmal macht. Mein Fehler liegt in der Kruscht-Kiste, aufgehoben für irgendwann-einmal-und-hoffentlich-schmeiss-ich-dich-vorher-noch-weg.
Joa, nun ist also irgendwann-einmal.
Ich mein, es hat auch Vorteile. Der Rock ist quasi schon fertig, das Oberteil kann aus dem Etwas gemacht werden, was ich als Oberteil verbrochen habe, und wenn ich den Rock an die Kurze anpasse, dann hab ich mehr als genug Stoff für die durch Abwesenheit glänzenden Ärmel. Paßt, wackelt und verschafft mir Luft. Jetzt nur schnell noch ein kleines Probeteil an der Kurzen abmessen, die fährt nämlich quasi tags drauf auf die Klassenfahrt. Und ich kann in ihrer Abwesenheit in Ruhe sticheln.
Oder auch nicht. Denn kaum sitzt die Kleine im Bus, lieg ich mit einer hübschen Halsentzündung eine Woche flach. Zum Abholen bin ich gerade wieder einigermassen passabel...
Aber macht ja nichts, ich habe ja noch eine Woche Zeit. Bis Samstag, wenn die Kinder im halbschulischen Rahmen und anlässlich einer hiesigen Kulturveranstaltung renaissiert im Kreis tanzen. Ganz davon zu schweigen, dass das Leben ja auch noch so ein, zwei Knüppelchen im Sack hat - Dinge, die man erledigen muss und die dann plötzlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als gedacht.
Trotzdem liege ich gut in der Zeit, habe am Donnerstag Abend schon das Oberteil komplett fertig, beide Ärmel (nach Probeteil, der Stoff ist zu knapp zum Verschneiden!) zugeschnitten und einen sogar schon entsprechend mit "geschlitzten" Einsätzen verziert, Gedöns hier und Gedöns da und im Hinterkopf die Überlegung, was man wohl noch alles dranverzieren könnte, wenn die Zeit noch reicht.
Freitags morgens dann, mitten auf dem Feld beim Hundespaziergang, ein Anruf auf dem Handy. Dran ist die Kurze - kurze Schrecksekunde, aber wenn sie noch selbst sprechen kann, ist es wohl kaum so wild. Vielleicht ist sie klatschnass geworden, hier hat es bis Punkt Acht geschüttet wie aus Kübeln, netterweise aber anlässlich der Hunderunde komplett aufgehört.
"Mama, Mama, der Tanz ist HEUTE!" sprudelt mir die Kurze in diesem Moment ins Ohr.
"Waaas? Wann? Wo? Wie?"
"Nach der zweiten Stunde. Du musst mir das Kleid bringen!"
Zweite Stunde? 9:15 Uhr? Es ist 8:20 Uhr und ich auf dem Scheitelpunkt meines Hundegangs. Wo ist meine Zeitmaschine?
"Mädel, da ist kein Kleid. Es hat keine Ärmel!"
"Dann bring es ohne Ärmel. Ich hab ja ein grünes T-Shirt an."
"Aber wohin?"
Sie weiss es nicht, aber verspricht, es herauszufinden und mir durchzusagen. Man kann ja viel über sie behaupten, aber Dinge, die ihr wichtig sind, die organisiert sie auf den Punkt genau. Gar kein Problem für sie. Für mich durchaus schon - aber irgendwas ist ja immer, ne?
Anruf kommt, die neue Marke heißt 10:15 Uhr, in der N-Kirche. Uahahaha. Aber... möglicherweise. Schaffbar. Knapp. Mit Abstrichen.
Und deshalb schreiten wir jetzt lang aus: der Hund, die Mittlere (die wegen eines Arzt-Termines heute zuhause ist) und ich. Und kaum lang ausgeschritten, sind wir auch zuhause und ich setze mich an die Nähmaschine.
9:00 Uhr. Erste Verzierung zweiter Ärmel.
9:15 Uhr. Zweite Verzierung zweiter Ärmel.
9:30 Uhr. Ärmelverzierung zweiter Ärmel *steht*. Kurzer Hilferuf an den Opa. Der will eigentlich mit dem Fahrrad in die Stadt, aber wenn er mit dem Auto *führe*, dann könnte ich bei ihm mitfahren und bis zum letzten Moment noch sticheln. Und zum Beispiel die Ärmel ins Oberteil heften.
9:45 Uhr. Abfahrt. Im letzten Moment rast die Mittlere noch ins Auto. Muttern sitzt auf der Hinterbank, Nadel in der Hand, Kostüm neben sich, und heftet in rasender Geschwindigkeit die Ärmel ins Leibchen. Ein wenig fühle ich mich wie im Märchen "Die sieben Schwäne", wo die stumme Prinzessin noch auf dem Weg zum Scheiterhaufen an den Nesselhemdchen arbeitet... nur bin ich nicht stumm und das hier kein Nessel.
Und Punkt 10:00 Uhr rasen Mittlere und ich auf die N-Kirche, genauer, das Gemeindehaus, zu und suchen die Kleine.
Die nicht da ist. Aber Schauspieler sind da, auch in entsprechender Ausstattung, und schicken uns ins Rathaus.
Dort: keine Kinder. Musiker sitzen dort, und eine Verantwortliche, die uns - vorne rein, hinten raus - wieder auf die Straße schickt. Von hier sollen sie kommen.
10:05 Uhr. Der Opa sieht uns nicht und rennt in die falsche Richtung. Die Mittlere sprintet ihm nach, fängt ihn ein. In diesem Moment sehe ich einen Zug Kinder mit Glitzerbaretts Richtung Gemeindehaus ziehen. Heftige Armbewegungen meinerseits in Richtung Opa und Mittlere: Ich da hin, ihr kommt nach!
10:10 Uhr. Diese Kinder sind mir fremd. Dafür kennen sie mich auch nicht, nur fair, ne? Aber was hilft es - sie tanzen (jetzt) nicht, und wo die Klasse meiner Kurzen ist, wissen sie auch nicht.
10:15 Uhr. Ich rase zurück zum Rathaus. Dort sammelt sich zumindest eine vierte Klasse - aber nicht "meine". Ich flute mit ihnen in den Rathaussaal. Dort sitzen schon Opa und Mittlere - ein Glück. Wenigstens die sind hier. So langsam wird mir klar: das hier ist ne Großveranstaltung, es werden einige Schulen mit ihren Klassen herkommen und offenbar in "Schüben" tanzen.
10:25 Uhr. Muttern dreht eine weitere Runde um Rathaus und Kirchen. Keine Spur von anverwandten Kindern.
10:35 Uhr. Männe ruft an: "Wo bist'n duuuuuu???" Kurze Erklärung, kurze Lagebesprechung, denn um 12 Uhr haben die Mittlere und ich einen Termin - im Nachbarort! - und hier wird's immer enger...
10:50 Uhr. Zweite Gruppe tanzt. Mittlere spielt fröhlich an meinem Handy rum. Wenigstens eine ist glücklich.
11:00 Uhr. Kurze Pause zwischen den Tänzen, und plötzlich finde ich mich als Informant für die Zeitung wieder - dabei weiss ich doch quasi nichts über den Hintergrund der Veranstaltung. Naja, dass das Museum dabei ist. Und dass es das erste Mal ist, dass sie das mit den Kindern machen, und vorher in den Schulen waren und dort "Unterricht" gegeben haben. Und ja, auch wie mindestens drei der Schulen heissen, die teilnehmen. Hab sie ja schließlich alle mit ihren Gruppen aufgespürt - nur *meine* Schule fehlt mir noch, heuuuuul.
Der Opa wandert zum Auto, Geld nachwerfen. Keiner von uns hat mit einer Dauer von mehr als einer Stunde gerechnet. Und um 12 Uhr muss ich im Nachbarort sein...
11:15 Uhr. Ich rase noch einmal ins Gemeindehaus. Und tatsächlich, dort, im abgedunkelten Publikumssaal, sitzt sie, inmitten ihrer Schulkameraden, und schaut sich einen Schwank an, der auch zum Programm gehört. Ich hab sie!
Leise hole ich sie zu mir ganz nach hinten, sie steigt ins Hemd, dann den Rock, das Oberteil mit den eingehefteten Ärmeln - aber ein Glück, es sieht aus wie genäht.
Gefühlte hundert Stecknadeln müssen mir jetzt helfen, eine Schnürung zu improvisieren und das Leibchen mit dem Brustfleck zu verschliessen. Und dann steht sie da, in all ihrer Pracht, und wandert mit den anderen ins Rathaus - und Mama atmet tief durch und erlaubt sich fünf Minuten Entspannung.
Aber nur fünf Minuten!
Denn das Auto steht noch zuhause, die Mittlere hat inzwischen Hunger und Muttern muss um 12 im Nachbarort... wir hatten das schon. Also dem Opa die Klamotten des Kindes in die Hand drücken, das andere Kind zum Bäcker schubsen, gleichzeitig den Männe aktivieren, dass er mit dem Auto zum Treffpunkt kommt - darauf hinweisen, dass man selbst nicht mal einen Schlüssel mitgenommen hat, und hätte ich nicht meine Notreserve von 10 € hinterm Handy immer dabei, hätte ich nicht mal das Brötchen bezahlen können...
UND ICH HAB'S GESCHAFFT!
11:50 Uhr fahren die Mittlere und ich auf den Parkplatz beim Arzt. Pünktlich.
Ich find, ich bin gut.
Salat
Ach so, eins gibt's noch oben drauf: Augenfutter.
"Mamakannstdumirdasbittenähenundichbraucheunbedingtgleichundgestern..."
Mohoment mal! Darf ich vielleicht gerade erst mal diesen Zombie umhauen und mich dann vor Spinnen und Skeletten in Sicherheit bringen, sprich, Minecraft ausschalten und mich dann dir widmen - und geht das alles in einer Geschwindigkeit, bei der auch ich noch mithalten kann? Ich bin immerhin schon über vierzig!
Die Kleine hüpft und bibbert und zittert und versucht, mich ins Bild zu setzen. Für euch fass ich's mal kurz zusammen: irgendjemand ist bei ihnen in der Schule und bringt ihnen Renaissance-Tänze bei, die sie so in mindestens zwei Wochen öffentlich aufführen sollen, und das gelbe Glitzerfitzel soll zu einem hübschen Tellerbarett werden (was ICH zu nähen habe), und sie möchte bitte und überhaupt zu diesem in zwei Wochen stattfindenden Tanze ein ganz persönliches und hübsches Renaissance-Kleidchen haben. Knicks und Danke fein.
Jetzt bin ich ja historischem Nähen so überhaupt und gar nicht abgeneigt. Und schon gar nicht abgeneigt, wenn meine Machwerke dann so einen hübschen Rahmen haben, in dem sie gezeigt werden. Einziges Problem: ich mag momentan keinen Stoff kaufen. Erstens hab ich noch genug, der aufgebraucht werden muss, zum zweiten kostet es ja auch ne Menge Geld.
Was ich aber habe: in meiner Kruscht-Kiste liegt noch ein, hmja, sagen wir, Erstprojekt von mir damals. Mit den üblichen Jugendsünden: glänzender Satin und, schauder, Pannesamt. Paßt damit aber zumindest von der Herkunft zu ihrem gelben Glitzergedöns aus der Schule, das ist nämlich auch Pannesamt.
Ich meine, ich hab wirklich Verständnis dafür, dass die Frau in der Schule, die den Kindern die Renaissance nahebringt, nicht Hunderte von Euro in historisch korrekten Samt investiert, nur damit jedes Kind ein historisch korrektes Barett trägt - und wahrscheinlich kurz danach in die Ecke kloppt.
Aber Pannesamt! Dünn, labberig, fusselt beim Nähen wie die Hölle, flutscht weg wie die Seuche - mit kurzen Worten, ein Fehler, den man möglichst nur einmal macht. Mein Fehler liegt in der Kruscht-Kiste, aufgehoben für irgendwann-einmal-und-hoffentlich-schmeiss-ich-dich-vorher-noch-weg.
Joa, nun ist also irgendwann-einmal.
Ich mein, es hat auch Vorteile. Der Rock ist quasi schon fertig, das Oberteil kann aus dem Etwas gemacht werden, was ich als Oberteil verbrochen habe, und wenn ich den Rock an die Kurze anpasse, dann hab ich mehr als genug Stoff für die durch Abwesenheit glänzenden Ärmel. Paßt, wackelt und verschafft mir Luft. Jetzt nur schnell noch ein kleines Probeteil an der Kurzen abmessen, die fährt nämlich quasi tags drauf auf die Klassenfahrt. Und ich kann in ihrer Abwesenheit in Ruhe sticheln.
Oder auch nicht. Denn kaum sitzt die Kleine im Bus, lieg ich mit einer hübschen Halsentzündung eine Woche flach. Zum Abholen bin ich gerade wieder einigermassen passabel...
Aber macht ja nichts, ich habe ja noch eine Woche Zeit. Bis Samstag, wenn die Kinder im halbschulischen Rahmen und anlässlich einer hiesigen Kulturveranstaltung renaissiert im Kreis tanzen. Ganz davon zu schweigen, dass das Leben ja auch noch so ein, zwei Knüppelchen im Sack hat - Dinge, die man erledigen muss und die dann plötzlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als gedacht.
Trotzdem liege ich gut in der Zeit, habe am Donnerstag Abend schon das Oberteil komplett fertig, beide Ärmel (nach Probeteil, der Stoff ist zu knapp zum Verschneiden!) zugeschnitten und einen sogar schon entsprechend mit "geschlitzten" Einsätzen verziert, Gedöns hier und Gedöns da und im Hinterkopf die Überlegung, was man wohl noch alles dranverzieren könnte, wenn die Zeit noch reicht.
Freitags morgens dann, mitten auf dem Feld beim Hundespaziergang, ein Anruf auf dem Handy. Dran ist die Kurze - kurze Schrecksekunde, aber wenn sie noch selbst sprechen kann, ist es wohl kaum so wild. Vielleicht ist sie klatschnass geworden, hier hat es bis Punkt Acht geschüttet wie aus Kübeln, netterweise aber anlässlich der Hunderunde komplett aufgehört.
"Mama, Mama, der Tanz ist HEUTE!" sprudelt mir die Kurze in diesem Moment ins Ohr.
"Waaas? Wann? Wo? Wie?"
"Nach der zweiten Stunde. Du musst mir das Kleid bringen!"
Zweite Stunde? 9:15 Uhr? Es ist 8:20 Uhr und ich auf dem Scheitelpunkt meines Hundegangs. Wo ist meine Zeitmaschine?
"Mädel, da ist kein Kleid. Es hat keine Ärmel!"
"Dann bring es ohne Ärmel. Ich hab ja ein grünes T-Shirt an."
"Aber wohin?"
Sie weiss es nicht, aber verspricht, es herauszufinden und mir durchzusagen. Man kann ja viel über sie behaupten, aber Dinge, die ihr wichtig sind, die organisiert sie auf den Punkt genau. Gar kein Problem für sie. Für mich durchaus schon - aber irgendwas ist ja immer, ne?
Anruf kommt, die neue Marke heißt 10:15 Uhr, in der N-Kirche. Uahahaha. Aber... möglicherweise. Schaffbar. Knapp. Mit Abstrichen.
Und deshalb schreiten wir jetzt lang aus: der Hund, die Mittlere (die wegen eines Arzt-Termines heute zuhause ist) und ich. Und kaum lang ausgeschritten, sind wir auch zuhause und ich setze mich an die Nähmaschine.
9:00 Uhr. Erste Verzierung zweiter Ärmel.
9:15 Uhr. Zweite Verzierung zweiter Ärmel.
9:30 Uhr. Ärmelverzierung zweiter Ärmel *steht*. Kurzer Hilferuf an den Opa. Der will eigentlich mit dem Fahrrad in die Stadt, aber wenn er mit dem Auto *führe*, dann könnte ich bei ihm mitfahren und bis zum letzten Moment noch sticheln. Und zum Beispiel die Ärmel ins Oberteil heften.
9:45 Uhr. Abfahrt. Im letzten Moment rast die Mittlere noch ins Auto. Muttern sitzt auf der Hinterbank, Nadel in der Hand, Kostüm neben sich, und heftet in rasender Geschwindigkeit die Ärmel ins Leibchen. Ein wenig fühle ich mich wie im Märchen "Die sieben Schwäne", wo die stumme Prinzessin noch auf dem Weg zum Scheiterhaufen an den Nesselhemdchen arbeitet... nur bin ich nicht stumm und das hier kein Nessel.
Und Punkt 10:00 Uhr rasen Mittlere und ich auf die N-Kirche, genauer, das Gemeindehaus, zu und suchen die Kleine.
Die nicht da ist. Aber Schauspieler sind da, auch in entsprechender Ausstattung, und schicken uns ins Rathaus.
Dort: keine Kinder. Musiker sitzen dort, und eine Verantwortliche, die uns - vorne rein, hinten raus - wieder auf die Straße schickt. Von hier sollen sie kommen.
10:05 Uhr. Der Opa sieht uns nicht und rennt in die falsche Richtung. Die Mittlere sprintet ihm nach, fängt ihn ein. In diesem Moment sehe ich einen Zug Kinder mit Glitzerbaretts Richtung Gemeindehaus ziehen. Heftige Armbewegungen meinerseits in Richtung Opa und Mittlere: Ich da hin, ihr kommt nach!
10:10 Uhr. Diese Kinder sind mir fremd. Dafür kennen sie mich auch nicht, nur fair, ne? Aber was hilft es - sie tanzen (jetzt) nicht, und wo die Klasse meiner Kurzen ist, wissen sie auch nicht.
10:15 Uhr. Ich rase zurück zum Rathaus. Dort sammelt sich zumindest eine vierte Klasse - aber nicht "meine". Ich flute mit ihnen in den Rathaussaal. Dort sitzen schon Opa und Mittlere - ein Glück. Wenigstens die sind hier. So langsam wird mir klar: das hier ist ne Großveranstaltung, es werden einige Schulen mit ihren Klassen herkommen und offenbar in "Schüben" tanzen.
10:25 Uhr. Muttern dreht eine weitere Runde um Rathaus und Kirchen. Keine Spur von anverwandten Kindern.
10:35 Uhr. Männe ruft an: "Wo bist'n duuuuuu???" Kurze Erklärung, kurze Lagebesprechung, denn um 12 Uhr haben die Mittlere und ich einen Termin - im Nachbarort! - und hier wird's immer enger...
10:50 Uhr. Zweite Gruppe tanzt. Mittlere spielt fröhlich an meinem Handy rum. Wenigstens eine ist glücklich.
11:00 Uhr. Kurze Pause zwischen den Tänzen, und plötzlich finde ich mich als Informant für die Zeitung wieder - dabei weiss ich doch quasi nichts über den Hintergrund der Veranstaltung. Naja, dass das Museum dabei ist. Und dass es das erste Mal ist, dass sie das mit den Kindern machen, und vorher in den Schulen waren und dort "Unterricht" gegeben haben. Und ja, auch wie mindestens drei der Schulen heissen, die teilnehmen. Hab sie ja schließlich alle mit ihren Gruppen aufgespürt - nur *meine* Schule fehlt mir noch, heuuuuul.
Der Opa wandert zum Auto, Geld nachwerfen. Keiner von uns hat mit einer Dauer von mehr als einer Stunde gerechnet. Und um 12 Uhr muss ich im Nachbarort sein...
11:15 Uhr. Ich rase noch einmal ins Gemeindehaus. Und tatsächlich, dort, im abgedunkelten Publikumssaal, sitzt sie, inmitten ihrer Schulkameraden, und schaut sich einen Schwank an, der auch zum Programm gehört. Ich hab sie!
Leise hole ich sie zu mir ganz nach hinten, sie steigt ins Hemd, dann den Rock, das Oberteil mit den eingehefteten Ärmeln - aber ein Glück, es sieht aus wie genäht.
Gefühlte hundert Stecknadeln müssen mir jetzt helfen, eine Schnürung zu improvisieren und das Leibchen mit dem Brustfleck zu verschliessen. Und dann steht sie da, in all ihrer Pracht, und wandert mit den anderen ins Rathaus - und Mama atmet tief durch und erlaubt sich fünf Minuten Entspannung.
Aber nur fünf Minuten!
Denn das Auto steht noch zuhause, die Mittlere hat inzwischen Hunger und Muttern muss um 12 im Nachbarort... wir hatten das schon. Also dem Opa die Klamotten des Kindes in die Hand drücken, das andere Kind zum Bäcker schubsen, gleichzeitig den Männe aktivieren, dass er mit dem Auto zum Treffpunkt kommt - darauf hinweisen, dass man selbst nicht mal einen Schlüssel mitgenommen hat, und hätte ich nicht meine Notreserve von 10 € hinterm Handy immer dabei, hätte ich nicht mal das Brötchen bezahlen können...
UND ICH HAB'S GESCHAFFT!
11:50 Uhr fahren die Mittlere und ich auf den Parkplatz beim Arzt. Pünktlich.
Ich find, ich bin gut.
Salat
Ach so, eins gibt's noch oben drauf: Augenfutter.
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