Gedichte & Gedanken Ein ganz normaler Donnerstag...

Buchstabensalat

Lebenskünstlerin
Patsch patsch patsch macht es auf dem Flur, dazu das leise, unverkennbare Klingeln von "Heddas" Glöckchen. Dann Stille.
Ich wälze mich - von meinem 34-Wochen-Bauch schon nachdrücklich behindert - auf die Seite und öffne die schlafverklebten Augenlider.
Zwei kleine grüne Augen starren mich überglücklich an. Mama ist wach! Jeden Morgen wieder so ein unfaßbares Glück.
Mama streckt die Hände aus und faßt ihre kleine Krabbe um die Mitte. Eine herkulische Anstrengung - und die Kleine liegt gut geborgen auf der Besucherritze zwischen Mama und Papa, mit der schönste Ort, wo man sich um 5:30 Uhr morgens (eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Wecken) befinden kann. Findet zumindest sie. Mama und Papa würden es stark vorziehen, wenn das Kind statt dessen doch lieber im eigenen Bettchen läge, bis der Wecker den Tag einläutet. Aber die Vorstellungen eines knapp 20 Monate alten Mädchens stimmen eben nicht immer mit denen seiner Eltern überein.
Mit zufriedenem Seufzen wandert jetzt der Daumen in den Mund, "Hedda" wird kunstvoll über die Augen plaziert. Zeit, noch ein wenig zu schlafen.
Wenn Mama nur auch könnte! Der Platz auf der Besucherritze wandelt sich in kürzester Zeit zur Hälfte von Mamas Bett (und behalten wir es im Auge, ich bin reichlich schwanger und entsprechend voluminös).
Dazu kitzeln ihre Haare in meiner Nase und auf meinen Augenlidern. Kleine Füße werden vertrauensvoll auf meiner Bauchrundung geparkt. Aber wehe, ich lege meinen Arm über sie, um nicht aus der Seitenlage auf sie drauf zu rollen.
Weg! Du bist warm! Und ich will auch keine Decke!
Dermaßen gestört, verwirft sie den Schlaf und beginnt ein intensives Besichtigungsprogramm meines Gesichts.
Auch, wenn es doch ganz schön ist, von einer seidenweichen kleinen Hand sanft an der Wange gestreichelt zu werden, es stört mich nachhaltig beim Wieder-Einnickern. Unwillig ziehe ich die Nase kraus.
He, das ist lustig. Sofort greifen kleine Fingerchen meine Nase und drücken sie zu. Mißbilligend blicke ich sie an. In knapp fünf Zentimetern Entfernung blitzt mir der Schalk aus den Augen meiner Tochter entgegen, ihr kleiner Mund grinst mich um ihren Daumen herum an.
Die Finger wandern weiter, testen, ob das wirklich Wimpern sind an meinen Augen. Soll ich die Anstrengung machen und ihre Hand wegschieben und dann wirklich wach sein oder ignoriere ich es und erzwinge mir den Schlaf?
Pieks! Der freche Zeigefinger drückt mir auf´s Auge.
"Hm, Cassandra, nicht!" brumme ich, den Gedanken an Schlaf - wie jeden Morgen - endgültig begrabend.
"Aua?" erkundigt sich mein Kind bei mir, hoch befriedigt von seiner Testreihe und höchstens mit einem Hauch von Mitleid.
"Ja, aua", grummele ich zurück. Und dann habe ich die Erleuchtung.
"Wo ist Papa?"
Mit überschäumender Freude schießt Cassandra hoch, setzt sich auf die Knie und jubelt: "Papa!" Ihr vor Triumph zitternder Zeigefinger deutet auf den schnarchenden, seltsamerweise immer noch ungestört schlafenden Kokon im Nebenbett.
"Ja, Papa. Gib Papa mal ein Küßchen", hetze ich weiter. Oh, ich kann schlecht sein!
Schmatz - schmatz - schmatz macht mein Engel mit dem Mund, es ist eher eine Art Kauen, bei dem eine Menge Zähne zu sehen sind, die sie dann mit Leidenschaft in die Wange des willigen Opfers preßt. Aber das jetzige Opfer ist dermaßen dick in seine Decke verpackt (und das bei den Temperaturen! Wir haben den Jahrhundertsommer! Wie hält er das aus?), daß man sich erstmal einen Angriffspunkt suchen müßte.
Cassandra wählt den einfachsten Weg und läßt ihre 11 Kilo in die kleine Kuhle zwischen Hals und Schulter plumpsen. Zum Lohn ertönt ein tiefes Grumpfen, und mein Mann ist jetzt auch wach.
Geteiltes Leid ist halbes Leid, denke ich und freue mich über die Atempause, die mir vergönnt ist, während die beiden sich nach der langen Abwesenheit - fast eine ganze Nacht! - begrüßen.
Inzwischen springt der Wecker an. Sechs Uhr. Für Cassie das Signal, ans Fußende zu krabbeln, aus dem Bett zu klettern und in die Küche zu stürmen. Für mich das Signal, meine Rundungen in eine vertikale Stellung zu bringen, viermal tief durchzuatmen und zu hoffen, daß der Kreislauf mit aufsteht.
Cassie fegt wieder ins Schlafzimmer, erfaßt die Lage mit einem Blick und bringt mir eines meiner Kleidungsstücke vom Vortag. Ungeduldig legt sie es mir vor die Füße - es ist ein T-Shirt, damit kann ich jetzt zwar gar nichts anfangen, aber ich erkenne die Zeichen der Zeit. Aufstehen, Mama, frühstücken!
Eine gute Stunde später verlassen mein Mann und mein Kind das Haus. Fröhlich wird mir noch zugewinkt: "Tüs, Mama!!"
Es war ein ganz normaler Wochentagsanfang am Donnerstag. Alltag? Niemals.


Gruß,
Buchstabensalat
 
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