Buchstabensalat
Lebenskünstlerin
Ich komme nach Hause und sehe die Große hinterm Gartentürchen sitzen. Das ist ungewöhnlich, weil meine Kinder eher die sonnenscheuen Monitorkleber sind und die freie Natur umgehen, wo es nur geht. Selbst wenn wie heute die Sonne aus allen Ecken scheint.
Sie sitzt also an der Hausecke hinterm Gartentürchen und reißt dort das Unkraut aus den Pflasterfugen. Ich lasse den gut gelüfteten Köter frei und setze mich zu ihr auf den Boden.
"Maaaa-maaa?" fängt sie zögernd an.
"Mhm?"
"Mir haben sie heute in der Schule achtzig Euro gestohlen. Meinst du, das macht Sinn, eine Anzeige zu machen?"
Buha. Das muss ich erst mal verdauen. Achtzig Euro! Was nimmt das Kind für Reichtümer mit in die Schule! Und Anzeige? Bei Schuldiebstahl? Püüühaaa.
"Naja, solltest du schon."
"Aber macht das denn Sinn?"
"Grundsätzlich schon. Ich meine, nicht, dass die den Dieb eher bekommen... aber besser wär's schon. Wie ist das denn passiert?"
Während sie die Grasbüschel ausrupft, rupfe ich die Infos aus ihr heraus. Offenbar hatten sie Unterricht in einem anderen Raum, haben aber ihre Jacken und restlichen Sachen im Klassenraum gelassen. Und als mein Töchterlein zurückkam, hatte man ihr aus dem Portemonnaie in der Jackentasche alle Scheine geklaut. Woraufhin sie zum Jahrgangsstufenleiter gegangen ist und den Diebstahl gemeldet hat. Fazit: die Lehrerschaft will jetzt erstmal abwarten und dem Dieb Gelegenheit geben, das Geld freiwillig zurückzugeben. Dafür werden die Lehrer in den Orientierungsstunden mal eine Ansprache halten.
Oooh whow. DAS wird ja helfen. So noch zwei Tage vor dem Wochenende.
"Weißt du was", sage ich ihr, "am besten gehst du morgen noch mal hin und sagst deinen Lehrer, dass du Montag eine Anzeige machst, wenn das Geld bis dahin nicht wieder da ist."
"Ja, aber bringt das denn was?"
Himmel, Kind, natürlich bringt das überhaupt nix, jedenfalls nicht so, dass du dein Geld eher zurückbekommst. Aber - es geht hier ja ums Prinzip. Und so, wie ich die Schule bislang kennengelernt habe, kommen die eher mal in die Pötte, wenn man mit klaren Aktionen, öhm, droht, als wenn man sich darauf verläßt, dass die das regeln.
"Das bringt IMMER was", antworte ich deshalb mit der tiefsten Überzeugung, die ich vortäuschen kann, und dann knuddle ich sie mal kurz. Immerhin ist mir jetzt klar, wieso sie Unkraut rupft - solche Sachen fallen in Opas Sorgebereich, und der zahlt mit harter Münze.
"Mamaaa, kannst du dann jetzt vielleicht Eis machen?"
Kein Ding. Zehn Minuten später sitzen wir friedlich auf der Gartenschaukel und löffeln unser Himbeereis, da kommt sie wieder verbal von der Seite angeschlichen.
"Ma-maaa? Kann ich mir denn bei euch auch mit irgendwelchen Arbeiten Geld verdienen?"
Ja, DAS ist ... bestimmt nicht mein Kind. So geschäftstüchtig. Fehlt mir völlig. Aber so ganz doof bin ich ja auch nicht mehr. Immerhin haben wir die normalen Haushaltsdienste ja schon komplett aufgeteilt, also kommt da keiner von in Frage. Aaaaber...
"Ich könnt dir anbieten, für 15 Minuten Rückenmassage zehn Euro zu zahlen."
"Oh ja. Und wenn ich 30 Minuten mache, bekomme ich dann zwanzig Euro?"
Geschäftstüchtig. Ich sag's ja.
Am Donnerstag gibt es zumindest in ihrer Klasse keine Ansprache des Lehrers. Wobei, aus der Klasse kann's ja auch keiner gewesen sein, die waren ja alle mit ihr im anderen Raum. Leider geht sie auch nicht zum Lehrer, um von der geplanten Anzeige zu berichten, wie abgesprochen. Geschäftstüchtig, ja, aber dafür irgendwie nicht so ganz konsequent im Abgang. Immerhin verdient sie sich bei mir 10 € - für 15 Minuten, naja, festeres Rückenkraulen. Aber was soll's, abgemacht ist abgemacht.
Abends gehe ich noch mal mit dem Hund ums Eck und fröne dabei meinem Briefkasten-Tick: jedes Mal, wenn ich rausgehe, schau ich rein. Kann ich nichts für, die schicken hier teilweise morgens um sechs schon den Briefkurier rum, der Postbote kommt unberechenbar irgendwann zwischen zehn Uhr morgens und zwei Uhr nachmittags, der Paketbote gurkt hier zwischen halb Eins und halb Zwei durch - jedenfalls, egal, wann ich reinschaue, und vor allem, wie oft am Tag ich reinschaue - es ist ganz klar öfter was drin als nichts drin ist. Sonst hätte ich mir das ja schon abgewöhnt.
Es ist auf jeden Fall was DRIN. Ein Brief. Ohne Marke. Adressiert an die Große. Ouha? Mit geradezu heldenhafter Selbstbeherrschung lasse ich den Brief aber im Kasten und gehe erst die Hunderunde. Danach, und wirklich erst als ich nach Hause komme und die Haustüre öffne, hole ich den ominösen Brief aus dem Kasten.
Liegt aber daran, dass der Briefkastenschlüssel immer hinter der Tür hängt...
Also, der Brief ist grau. Kein Absender. Keine Marke. Etwas fluffig gefüllt. Aber: nein, für Geldscheine hat der Inhalt das falsche Format. Vielleicht eine Einladung? Heute werde ich es allerdings nicht mehr erfahren, die Große schiebt schon Matratzenhorchdienst. Dafür schlürt die Mittlere durch, beäugt den Brief ebenfalls neugierig und erklärt, sie wolle morgen aber unbedingt dabei sein, wenn die Große den Brief öffne. DIE ist mein Kind. Neugierig bin ich auch.
Deshalb schaue ich auch ganz dezent aus der Küche, als die Große den Umschlag öffnet. Es ist ein grünes Kärtchen drin. Aha, eine Einladung. Zum Abschlußball?
Nee, daneben. Ein überraschter Schrei von der Großen: Im Kärtchen befinden sich Geldscheine! 80 €! Sollte der Dieb tatsächlich Gewissensbisse bekommen haben? Nein, hat er nicht - auf dem Kärtchen steht "Liebe Große! Das ist für Dich! (... auch falls das andere Geld wieder auftaucht)". Und innen drin klebt ein Sticker mit einem Leuchtturm, "Egal was kommt: Gott vergißt dich nicht".
Wir sind platt. Wer kann das gewesen sein? Da muß einer unsere Große schon eher sehr gern mögen, um diesen nicht ganz unerheblichen Betrag freiwillig und anonym zu ersetzen. Ein Kind? Eine Lehrkraft?
Die Große jedenfalls freut sich wirklich. Und nimmt sich vor, da sie ja nun den edlen Spender nicht kennt, eine kleine Dankesrede vor der ganzen Klasse zu halten. Und allen ein Eis zu spendieren.
Und nur das Geld mitzunehmen, das sie für das Eis so braucht.
"Ach ja, und Mama, ich bekomme noch zehn Euro von dir!"
Abgemacht ist abgemacht.
Salat
Sie sitzt also an der Hausecke hinterm Gartentürchen und reißt dort das Unkraut aus den Pflasterfugen. Ich lasse den gut gelüfteten Köter frei und setze mich zu ihr auf den Boden.
"Maaaa-maaa?" fängt sie zögernd an.
"Mhm?"
"Mir haben sie heute in der Schule achtzig Euro gestohlen. Meinst du, das macht Sinn, eine Anzeige zu machen?"
Buha. Das muss ich erst mal verdauen. Achtzig Euro! Was nimmt das Kind für Reichtümer mit in die Schule! Und Anzeige? Bei Schuldiebstahl? Püüühaaa.
"Naja, solltest du schon."
"Aber macht das denn Sinn?"
"Grundsätzlich schon. Ich meine, nicht, dass die den Dieb eher bekommen... aber besser wär's schon. Wie ist das denn passiert?"
Während sie die Grasbüschel ausrupft, rupfe ich die Infos aus ihr heraus. Offenbar hatten sie Unterricht in einem anderen Raum, haben aber ihre Jacken und restlichen Sachen im Klassenraum gelassen. Und als mein Töchterlein zurückkam, hatte man ihr aus dem Portemonnaie in der Jackentasche alle Scheine geklaut. Woraufhin sie zum Jahrgangsstufenleiter gegangen ist und den Diebstahl gemeldet hat. Fazit: die Lehrerschaft will jetzt erstmal abwarten und dem Dieb Gelegenheit geben, das Geld freiwillig zurückzugeben. Dafür werden die Lehrer in den Orientierungsstunden mal eine Ansprache halten.
Oooh whow. DAS wird ja helfen. So noch zwei Tage vor dem Wochenende.
"Weißt du was", sage ich ihr, "am besten gehst du morgen noch mal hin und sagst deinen Lehrer, dass du Montag eine Anzeige machst, wenn das Geld bis dahin nicht wieder da ist."
"Ja, aber bringt das denn was?"
Himmel, Kind, natürlich bringt das überhaupt nix, jedenfalls nicht so, dass du dein Geld eher zurückbekommst. Aber - es geht hier ja ums Prinzip. Und so, wie ich die Schule bislang kennengelernt habe, kommen die eher mal in die Pötte, wenn man mit klaren Aktionen, öhm, droht, als wenn man sich darauf verläßt, dass die das regeln.
"Das bringt IMMER was", antworte ich deshalb mit der tiefsten Überzeugung, die ich vortäuschen kann, und dann knuddle ich sie mal kurz. Immerhin ist mir jetzt klar, wieso sie Unkraut rupft - solche Sachen fallen in Opas Sorgebereich, und der zahlt mit harter Münze.
"Mamaaa, kannst du dann jetzt vielleicht Eis machen?"
Kein Ding. Zehn Minuten später sitzen wir friedlich auf der Gartenschaukel und löffeln unser Himbeereis, da kommt sie wieder verbal von der Seite angeschlichen.
"Ma-maaa? Kann ich mir denn bei euch auch mit irgendwelchen Arbeiten Geld verdienen?"
Ja, DAS ist ... bestimmt nicht mein Kind. So geschäftstüchtig. Fehlt mir völlig. Aber so ganz doof bin ich ja auch nicht mehr. Immerhin haben wir die normalen Haushaltsdienste ja schon komplett aufgeteilt, also kommt da keiner von in Frage. Aaaaber...
"Ich könnt dir anbieten, für 15 Minuten Rückenmassage zehn Euro zu zahlen."
"Oh ja. Und wenn ich 30 Minuten mache, bekomme ich dann zwanzig Euro?"
Geschäftstüchtig. Ich sag's ja.
Am Donnerstag gibt es zumindest in ihrer Klasse keine Ansprache des Lehrers. Wobei, aus der Klasse kann's ja auch keiner gewesen sein, die waren ja alle mit ihr im anderen Raum. Leider geht sie auch nicht zum Lehrer, um von der geplanten Anzeige zu berichten, wie abgesprochen. Geschäftstüchtig, ja, aber dafür irgendwie nicht so ganz konsequent im Abgang. Immerhin verdient sie sich bei mir 10 € - für 15 Minuten, naja, festeres Rückenkraulen. Aber was soll's, abgemacht ist abgemacht.
Abends gehe ich noch mal mit dem Hund ums Eck und fröne dabei meinem Briefkasten-Tick: jedes Mal, wenn ich rausgehe, schau ich rein. Kann ich nichts für, die schicken hier teilweise morgens um sechs schon den Briefkurier rum, der Postbote kommt unberechenbar irgendwann zwischen zehn Uhr morgens und zwei Uhr nachmittags, der Paketbote gurkt hier zwischen halb Eins und halb Zwei durch - jedenfalls, egal, wann ich reinschaue, und vor allem, wie oft am Tag ich reinschaue - es ist ganz klar öfter was drin als nichts drin ist. Sonst hätte ich mir das ja schon abgewöhnt.
Es ist auf jeden Fall was DRIN. Ein Brief. Ohne Marke. Adressiert an die Große. Ouha? Mit geradezu heldenhafter Selbstbeherrschung lasse ich den Brief aber im Kasten und gehe erst die Hunderunde. Danach, und wirklich erst als ich nach Hause komme und die Haustüre öffne, hole ich den ominösen Brief aus dem Kasten.
Liegt aber daran, dass der Briefkastenschlüssel immer hinter der Tür hängt...
Also, der Brief ist grau. Kein Absender. Keine Marke. Etwas fluffig gefüllt. Aber: nein, für Geldscheine hat der Inhalt das falsche Format. Vielleicht eine Einladung? Heute werde ich es allerdings nicht mehr erfahren, die Große schiebt schon Matratzenhorchdienst. Dafür schlürt die Mittlere durch, beäugt den Brief ebenfalls neugierig und erklärt, sie wolle morgen aber unbedingt dabei sein, wenn die Große den Brief öffne. DIE ist mein Kind. Neugierig bin ich auch.
Deshalb schaue ich auch ganz dezent aus der Küche, als die Große den Umschlag öffnet. Es ist ein grünes Kärtchen drin. Aha, eine Einladung. Zum Abschlußball?
Nee, daneben. Ein überraschter Schrei von der Großen: Im Kärtchen befinden sich Geldscheine! 80 €! Sollte der Dieb tatsächlich Gewissensbisse bekommen haben? Nein, hat er nicht - auf dem Kärtchen steht "Liebe Große! Das ist für Dich! (... auch falls das andere Geld wieder auftaucht)". Und innen drin klebt ein Sticker mit einem Leuchtturm, "Egal was kommt: Gott vergißt dich nicht".
Wir sind platt. Wer kann das gewesen sein? Da muß einer unsere Große schon eher sehr gern mögen, um diesen nicht ganz unerheblichen Betrag freiwillig und anonym zu ersetzen. Ein Kind? Eine Lehrkraft?
Die Große jedenfalls freut sich wirklich. Und nimmt sich vor, da sie ja nun den edlen Spender nicht kennt, eine kleine Dankesrede vor der ganzen Klasse zu halten. Und allen ein Eis zu spendieren.
Und nur das Geld mitzunehmen, das sie für das Eis so braucht.
"Ach ja, und Mama, ich bekomme noch zehn Euro von dir!"
Abgemacht ist abgemacht.
Salat