Das Mutti

Isabella

Schneller Klickfinger
Das Mutti

Meine geheimnisvolle Verwandlung vollzog sich an einem ganz normalen
Montag,
nachmittags 17.46 Uhr MEZ, von einer Minute auf die andere. Aus der Spezies
"Frau" (Weiblich, besondere Kennzeichen: leichtsinnig, fröhlich bis albern,
sinnlich, kapriziös, attraktiv, witzig, mit einem Hang zum Luxus und zum
schönen Phlegma) wurde die Gattung "das Mutti" (besondere Kennzeichen:
bieder, belastbar, besorgt, ernsthaft, genügsam, nervös, 24 Stunden voll im
Einsatz).
Das Mutti ist streng geschlechtsneutral und kommt überall auf der Welt vor:
Gehäuft auf Kinderspielplätzen. Zu erkennen ist das Mutti an seiner
bellenden
oder schrillen Tonlage: "Stefan, sofort runter da, sonst setzt es etwas!!",
und an einem rastlosen Betätigungsdrang (bevorzugte Tätigkeiten: stricken,
Rotz abwischen, Backe-backe-Kuchen-machen, Mützen ab- und aufsetzen,
Apfelsinen schälen, Fläschchen schütteln, Küßchen oder Knüffe verteilen).

Sitzt das Mutti wider Erwarten mal ganz ruhig da, ist zumindest ein Fuß in
Bewegung: er schaukelt den Kinderwagen. Das Mutti tritt selten allein auf,
sondern ist meist rudelweise von seinen Jungen umgeben. Sind diese noch
klein, trägt das Mutti sie in einer textilen Ausbuchtung vor dem Bauch oder
Rücken (ähnlich dem australischen Känguruh, jedoch bewegt sich das Mutti
nur
selten hüpfend vorwärts). Wenn die Jungen größer sind und aufrecht gehen
können, übt es geduldig die Tätigkeit des "Spazierenstehens" aus. Während
das
Mutti-Junge sich im Matsch suhlt, jedes Steinchen auf seine Verwendbarkeit
untersucht, Grashalme frißt oder tiefsinnig sein Spiegelbild in Pfützen
betrachtet, bleibt das Mutti einfach stehen. So verbringt es einen Großteil
seiner Zeit, in Kälte und Nässe ausharrend, stumm, schicksalsergeben.

Mutti ist Frau nicht von Geburt an, zum Mutti wird sie gemacht. Viele
Frauen
bezeichnen diesen Hergang als äußerst lustvoll, wahrscheinlich gibt es
deshalb noch einige von ihnen. Manche machen sich nicht klar, was die
Mutti-Metamorphose bedeutet. Auf jeden Fall ist es ein irreversibler
Prozeß:
einmal Mutti - immer Mutti. Was sich auch darin ausdrückt, daß manche
"Vatis"
(männlich, besondere Kennzeichen: oft aushäusig, meist paschamäßig auf
Draht
und windelmäßig unerfahren, auch - oder gerade - nach der Geburt der Jungen
unentwegt um die begehrenswertere Spezies "Frau" herumbalzend) es fortan
neutral "Mutti" zu nennen.

Für die Aufzucht (siehe auch "Sozialisation") sind stets wir Muttis allein
zuständig - eine Aufgabe, in der wir für den Rest unseres Lebens aufzugehen
haben. Durchdrungen von der existentiellen Wichtigkeit des
Brutpflegetriebs,
werden die Muttis offensichtlich jahrelang zu Höchstleistungen angetrieben.
Einem Mutti - und darin erweist sich die ausgesprochene
Widerstandsfähigkeit
dieser äußerlich schutzbedürftigen, innerlich aber erstaunlich zähen
Gattung
- macht es nichts aus, drei bis viermal pro Nacht das warme Nest zu
verlassen, um die brüllenden Jungen mit Nahrung zu versorgen. Ein Mutti
ödet
es nicht an, täglich den immergleichen Brei zu bereiten und den
immergleichen
Spielplatz mit den immergleichen Mit-Muttis aufzusuchen und dort die
immergleichen Gespräche zu führen. Wer sich als Artfremder mit uns Muttis
unterhalten will, fühlt sich binnen kurzem außen vor. Haben wir Muttis doch
eine Art von Geheimcode entwickelt, mit dem wir uns mühelos untereinander
verständigen: Da wimmelt es plötzlich von Worten wie Strapelpeterfixies,
Paidi, Peaudoux oder Osh-Kosh, es gibt Duplos, den Sauggli, den
Schniedelwutz
oder den Pipi-Mann, die Tut-tut-Bahn, das Tatü-Tata und das Hoppe-Hoppe; da
schwirren so exotische Begriffe durch die Luft wie "Agrar-Test", "Phimose",
"Ur-Vertrauen", "rechtsdrehender Joghurt" oder "Drei-Monats-Koliken"......
Kurz: Besonders Jung-Muttis, die sich in ihrem Dasein als Frau profiliert
haben, indem sie ihr Abi mit "Eins" und ihr Examen mit "cum laude" gemacht
haben, machen in der Regel eine seltsame intellektuelle Regression durch.
Wie
alle Muttis dieser Welt verfallen sie in eine Art frühkindlicher
Stammel-Sprache, deren Hauptbestandteil das Diminutiv ist ("Will Dodolein
jetzt Heia-Heia machen? Aber erst kriegt Dodolein noch ein Küssilein....").
Die Mutti-Metamorphose ist in allen Bereichen des täglichen Lebens spürbar.
Statt "Die Liebe in den Zeiten der Cholea" Liest das Mutti jetzt "Die
Häschenschule", statt raffinieretem "Kaninchen in Senf-Sauce" bereitet es
gesunden salzlosen Blumenkohl, statt zu "Cabaret" geht es ins Kindertheater
zu "Peterchens Mondfahrt" und beim Shopping suchen wir nicht nach getupften
Ballon-Rock für uns, sondern nach einer strapazierfähigen Latzhose für das
Jüngste, genügsam wie wir nun mal sind.

Am verblüffendsten aber ist die optische Verwandlung des Muttis. Knallenge
Calvin-Klein-Jeans, spitzenbesetzte BH´s unter schimmernden Seidenblusen,
verführerische Stöckel oder ausgeflippte 50er-Jahre-Klamotten - alles
passe.
Das Mutti, ewig mit Brei bekleckert und ewig in Zeitnot, hat sein
farbenfrohes Kleid abgelegt, mit dem es einst Vati zur Balz aufforderte.
Bequeme Jeans, Turnschuhe, ein weites Sweatshirt - so etwa sieht der
Einheitslook des mitteleuropäischen Mutti-Tiers aus. Verhaltensforscher
sprechen inzwischen schon von einem deutlich ausgepägten "Mimikry-Effekt":
je
grauer und eintöniger der Alltag des Mutti zwischen
Küche-Kacke-Kindergarten
ist, desto grauer und einfallsloser kleidet sie sich.

Und Vati? Vati, der all das gewollt und verursacht hat? Vati schmollt. Er
fühlt sich, zumindest im ersten Jahr, um all das betrogen, was ihm bis
dahin
lieb und teuer war, seine ungestörte Nachtruhe. Sein geregeltes
Sexualleben.
Seine spontanen, ausgedehnten Kneipen-Touren. Seine saubere, untadelig
aufgeräumte Wohnung. Seine stets perfekt angezogene Vorzeige-Frau. Seine
Vorrangstellung im Herzen derselben.
Statt dessen sitzt er da mit diesem völlig fremden Wesen, dem Mutti, und
leidet unter dem sogenannten "Baby-Speck" - Symptome: nächtliche
Schweißausbrüche bei der ersten lautstarken Unmutsäußerung des Babys, ein
heftiges, langanhaltendes Gefühl der Unzugänglichkeit dem Mutti gegenüber
("Was zum Teufel ist "teiladaptierte Milch....?") und des
Ausgeliefertseins,
das oft klaustrophobische Züge annimmt ("Hier komm´ ich nie mehr raus, das
geht jetzt zwanzig Jahre lang so weiter...."), nie gekannte seelische
Wechselbäder von unbändigem Stolz bis zur ohnmächtigen Wut. Unter dieser
Schockeinwirkung - also im Stadium der Unzurechnungsfähigkeit - erliegen
manche Väter gern der nächstbesten Versuchung, deren Name "Weib" ist, und
trennen sich von Mutti. Doch es nützt alles nichts. An einem x-beliebigen
Mittwoch, um 13.34 Uhr, ist es mal wider soweit: ein zarter Schrei - und
wieder ist ein Mutti geboren.

(Autor unbekannt)
 
Zurück
Oben